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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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war der nächtlichen Rippenstöße und des Streites
um die Decke gewärtig, die es nun absetzen
würde. Aber wie erstaunt war er, als der
Neuangekommene, obgleich es ein Baier war,
sich mit höflichem Gruße zu ihm ins Bett legte,
sich eben so friedlich und manierlich, wie er selbst,
am andern Ende des Bettes verhielt und ihn
während der ganzen Nacht nicht im mindesten
belästigte. Dies unerhörte Abenteuer brachte ihn
so um alle Ruhe, daß er, während der Baier
wohlgemuth schlief, diese Nacht kein Auge zuthat.
Am Morgen betrachtete er den wundersamen
Schlafgefährten mit äußerst aufmerksamen Mienen
und sah, daß es ein ebenfalls nicht mehr junger
Geselle war, der sich mit anständigen Worten nach
den Umständen und dem Leben hier erkundigte,
ganz in der Weise, wie er es etwa selbst gethan
haben würde. Sobald er dies nur bemerkte,
hielt er an sich und verschwieg die einfachsten
Dinge, wie ein großes Geheimniß, trachtete aber
dagegen das Geheimniß des Baiers zu ergrün¬
den; denn daß derselbe ebenfalls eines besaß,
war ihm von weitem anzusehen; wozu sollte er
sonst ein so verständiger, sanftmüthiger und ge¬

war der nächtlichen Rippenſtöße und des Streites
um die Decke gewärtig, die es nun abſetzen
würde. Aber wie erſtaunt war er, als der
Neuangekommene, obgleich es ein Baier war,
ſich mit höflichem Gruße zu ihm ins Bett legte,
ſich eben ſo friedlich und manierlich, wie er ſelbſt,
am andern Ende des Bettes verhielt und ihn
während der ganzen Nacht nicht im mindeſten
beläſtigte. Dies unerhörte Abenteuer brachte ihn
ſo um alle Ruhe, daß er, während der Baier
wohlgemuth ſchlief, dieſe Nacht kein Auge zuthat.
Am Morgen betrachtete er den wunderſamen
Schlafgefährten mit äußerſt aufmerkſamen Mienen
und ſah, daß es ein ebenfalls nicht mehr junger
Geſelle war, der ſich mit anſtändigen Worten nach
den Umſtänden und dem Leben hier erkundigte,
ganz in der Weiſe, wie er es etwa ſelbſt gethan
haben würde. Sobald er dies nur bemerkte,
hielt er an ſich und verſchwieg die einfachſten
Dinge, wie ein großes Geheimniß, trachtete aber
dagegen das Geheimniß des Baiers zu ergrün¬
den; denn daß derſelbe ebenfalls eines beſaß,
war ihm von weitem anzuſehen; wozu ſollte er
ſonſt ein ſo verſtändiger, ſanftmüthiger und ge¬

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[376/0388] war der nächtlichen Rippenſtöße und des Streites um die Decke gewärtig, die es nun abſetzen würde. Aber wie erſtaunt war er, als der Neuangekommene, obgleich es ein Baier war, ſich mit höflichem Gruße zu ihm ins Bett legte, ſich eben ſo friedlich und manierlich, wie er ſelbſt, am andern Ende des Bettes verhielt und ihn während der ganzen Nacht nicht im mindeſten beläſtigte. Dies unerhörte Abenteuer brachte ihn ſo um alle Ruhe, daß er, während der Baier wohlgemuth ſchlief, dieſe Nacht kein Auge zuthat. Am Morgen betrachtete er den wunderſamen Schlafgefährten mit äußerſt aufmerkſamen Mienen und ſah, daß es ein ebenfalls nicht mehr junger Geſelle war, der ſich mit anſtändigen Worten nach den Umſtänden und dem Leben hier erkundigte, ganz in der Weiſe, wie er es etwa ſelbſt gethan haben würde. Sobald er dies nur bemerkte, hielt er an ſich und verſchwieg die einfachſten Dinge, wie ein großes Geheimniß, trachtete aber dagegen das Geheimniß des Baiers zu ergrün¬ den; denn daß derſelbe ebenfalls eines beſaß, war ihm von weitem anzuſehen; wozu ſollte er ſonſt ein ſo verſtändiger, ſanftmüthiger und ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/388>, abgerufen am 28.11.2024.