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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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mein Vater sich freut wie ein kleines Kind.
Daß Dein Vater heute nach dem Spittel ge¬
bracht wurde, haben wir auch vernommen; ich
habe gedacht, Du werdest jetzt allein sein und
bin gekommen, um Dich zu sehen!" Vrenchen
klagte ihm jetzt auch alles, was sie drückte und
was sie erlitt, aber mit so leichter zutraulicher
Zunge, als ob sie ein großes Glück beschriebe,
weil sie glücklich war, Sali neben sich zu sehen.
Sie brachte inzwischen nothdürftig ein Becken
voll warmen Kaffee zusammen, welchen mit ihr
zu theilen sie den Geliebten zwang. "Also über¬
morgen mußt Du hier weg?" sagte Sali, "was
soll denn um's Himmelswillen werden?" "Das
weiß ich nicht," sagte Vrenchen, "ich werde die¬
nen müssen und in die Welt hinaus! Ich werde
es aber nicht aushalten ohne Dich; und doch
kann ich Dich nie bekommen, auch wenn alles
andere nicht wäre, blos weil Du meinen Vater
geschlagen und um den Verstand gebracht hast!
Dies würde immer ein schlechter Grundstein un¬
serer Ehe sein und wir beide nie sorglos werden,
nie!" Sali seufzte und sagte: "Ich wollte auch
schon hundert Mal Soldat werden oder mich in

mein Vater ſich freut wie ein kleines Kind.
Daß Dein Vater heute nach dem Spittel ge¬
bracht wurde, haben wir auch vernommen; ich
habe gedacht, Du werdeſt jetzt allein ſein und
bin gekommen, um Dich zu ſehen!« Vrenchen
klagte ihm jetzt auch alles, was ſie drückte und
was ſie erlitt, aber mit ſo leichter zutraulicher
Zunge, als ob ſie ein großes Glück beſchriebe,
weil ſie glücklich war, Sali neben ſich zu ſehen.
Sie brachte inzwiſchen nothdürftig ein Becken
voll warmen Kaffee zuſammen, welchen mit ihr
zu theilen ſie den Geliebten zwang. »Alſo über¬
morgen mußt Du hier weg?« ſagte Sali, »was
ſoll denn um's Himmelswillen werden?« »Das
weiß ich nicht,« ſagte Vrenchen, »ich werde die¬
nen müſſen und in die Welt hinaus! Ich werde
es aber nicht aushalten ohne Dich; und doch
kann ich Dich nie bekommen, auch wenn alles
andere nicht wäre, blos weil Du meinen Vater
geſchlagen und um den Verſtand gebracht haſt!
Dies würde immer ein ſchlechter Grundſtein un¬
ſerer Ehe ſein und wir beide nie ſorglos werden,
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[295/0307] mein Vater ſich freut wie ein kleines Kind. Daß Dein Vater heute nach dem Spittel ge¬ bracht wurde, haben wir auch vernommen; ich habe gedacht, Du werdeſt jetzt allein ſein und bin gekommen, um Dich zu ſehen!« Vrenchen klagte ihm jetzt auch alles, was ſie drückte und was ſie erlitt, aber mit ſo leichter zutraulicher Zunge, als ob ſie ein großes Glück beſchriebe, weil ſie glücklich war, Sali neben ſich zu ſehen. Sie brachte inzwiſchen nothdürftig ein Becken voll warmen Kaffee zuſammen, welchen mit ihr zu theilen ſie den Geliebten zwang. »Alſo über¬ morgen mußt Du hier weg?« ſagte Sali, »was ſoll denn um's Himmelswillen werden?« »Das weiß ich nicht,« ſagte Vrenchen, »ich werde die¬ nen müſſen und in die Welt hinaus! Ich werde es aber nicht aushalten ohne Dich; und doch kann ich Dich nie bekommen, auch wenn alles andere nicht wäre, blos weil Du meinen Vater geſchlagen und um den Verſtand gebracht haſt! Dies würde immer ein ſchlechter Grundſtein un¬ ſerer Ehe ſein und wir beide nie ſorglos werden, nie!« Sali ſeufzte und ſagte: »Ich wollte auch ſchon hundert Mal Soldat werden oder mich in

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/307>, abgerufen am 12.05.2024.