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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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das Dorf führte und umkehren mochten sie auch
nicht vor seinen Augen. Er sah sie scharf an
und rief! "Ich kenne Euch, Ihr seid die Kin¬
der derer, die mir den Boden hier gestohlen
haben! Es freut mich zu sehen, wie gut Ihr
gefahren seid und werde gewiß noch erleben,
daß Ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht!
Seht mich nur an, Ihr zwei Spatzen! Gefällt
Euch meine Nase, wie?" In der That besaß
er eine schreckbare Nase, welche wie ein großes
Winkelmaß aus dem dürren schwarzen Gesicht
ragte oder eigentlich mehr einem tüchtigen Kne¬
bel oder Prügel glich, welcher in dies Gesicht
geworfen worden war, und unter dem ein klei¬
nes rundes Löchelchen von einem Munde sich
seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem er
unaufhörlich pustete, pfiff und zischte. Dazu
stand das kleine Filzhütchen ganz unheimlich,
welches nicht rund und nicht eckig und so son¬
derlich geformt war, daß es alle Augenblicke seine
Gestalt zu verändern schien, obgleich es unbe¬
weglich saß, und von den Augen des Kerls war
fast nichts als das Weiße zu sehen, da die
Sterne unaufhörlich auf einer blitzschnellen Wan¬

das Dorf führte und umkehren mochten ſie auch
nicht vor ſeinen Augen. Er ſah ſie ſcharf an
und rief! »Ich kenne Euch, Ihr ſeid die Kin¬
der derer, die mir den Boden hier geſtohlen
haben! Es freut mich zu ſehen, wie gut Ihr
gefahren ſeid und werde gewiß noch erleben,
daß Ihr vor mir den Weg alles Fleiſches geht!
Seht mich nur an, Ihr zwei Spatzen! Gefällt
Euch meine Naſe, wie?« In der That beſaß
er eine ſchreckbare Naſe, welche wie ein großes
Winkelmaß aus dem dürren ſchwarzen Geſicht
ragte oder eigentlich mehr einem tüchtigen Kne¬
bel oder Prügel glich, welcher in dies Geſicht
geworfen worden war, und unter dem ein klei¬
nes rundes Löchelchen von einem Munde ſich
ſeltſam ſtutzte und zuſammenzog, aus dem er
unaufhörlich puſtete, pfiff und ziſchte. Dazu
ſtand das kleine Filzhütchen ganz unheimlich,
welches nicht rund und nicht eckig und ſo ſon¬
derlich geformt war, daß es alle Augenblicke ſeine
Geſtalt zu verändern ſchien, obgleich es unbe¬
weglich ſaß, und von den Augen des Kerls war
faſt nichts als das Weiße zu ſehen, da die
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[276/0288] das Dorf führte und umkehren mochten ſie auch nicht vor ſeinen Augen. Er ſah ſie ſcharf an und rief! »Ich kenne Euch, Ihr ſeid die Kin¬ der derer, die mir den Boden hier geſtohlen haben! Es freut mich zu ſehen, wie gut Ihr gefahren ſeid und werde gewiß noch erleben, daß Ihr vor mir den Weg alles Fleiſches geht! Seht mich nur an, Ihr zwei Spatzen! Gefällt Euch meine Naſe, wie?« In der That beſaß er eine ſchreckbare Naſe, welche wie ein großes Winkelmaß aus dem dürren ſchwarzen Geſicht ragte oder eigentlich mehr einem tüchtigen Kne¬ bel oder Prügel glich, welcher in dies Geſicht geworfen worden war, und unter dem ein klei¬ nes rundes Löchelchen von einem Munde ſich ſeltſam ſtutzte und zuſammenzog, aus dem er unaufhörlich puſtete, pfiff und ziſchte. Dazu ſtand das kleine Filzhütchen ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht eckig und ſo ſon¬ derlich geformt war, daß es alle Augenblicke ſeine Geſtalt zu verändern ſchien, obgleich es unbe¬ weglich ſaß, und von den Augen des Kerls war faſt nichts als das Weiße zu ſehen, da die Sterne unaufhörlich auf einer blitzſchnellen Wan¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/288>, abgerufen am 10.05.2024.