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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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leicht nicht so ungesehen weggehen kannst wie jetzt!
Noch ist alles still und Niemand um den Weg,
ich bitte Dich, geh jetzt!" "Nein, so geh' ich nicht!
ich mußte seit gestern immer an Dich denken,
und ich geh' nicht so fort, wir müssen mit ein¬
ander reden, wenigstens eine halbe Stunde lang
oder eine Stunde, das wird uns gut thun!"
Vrenchen besann sich ein Weilchen und sagte
dann: "Ich geh' gegen Abend auf unsern Acker
hinaus, Du weißt welchen, wir haben nur noch
den, und hole etwas Gemüse. Ich weiß, daß
Niemand weiter dort sein wird, weil die Leute
anderswo schneiden; wenn Du willst, so komm
dort hin, aber jetzt geh' und nimm Dich in Acht,
daß Dich Niemand sieht! Wenn auch kein
Mensch hier mehr mit uns umgeht, so würden
sie doch ein solches Gerede machen, daß es der
Vater sogleich vernähme." Sie ließen sich jetzt
die Hände frei, ergriffen sie aber auf der Stelle
wieder und beide sagten gleichzeitig: "Und wie
geht es Dir auch?" Aber statt sich antworten
fragten sie das Gleiche auf's Neue und die Ant¬
wort lag nur in den beredten Augen, da sie
nach Art der Verliebten die Worte nicht mehr

leicht nicht ſo ungeſehen weggehen kannſt wie jetzt!
Noch iſt alles ſtill und Niemand um den Weg,
ich bitte Dich, geh jetzt!« »Nein, ſo geh' ich nicht!
ich mußte ſeit geſtern immer an Dich denken,
und ich geh' nicht ſo fort, wir müſſen mit ein¬
ander reden, wenigſtens eine halbe Stunde lang
oder eine Stunde, das wird uns gut thun!«
Vrenchen beſann ſich ein Weilchen und ſagte
dann: »Ich geh' gegen Abend auf unſern Acker
hinaus, Du weißt welchen, wir haben nur noch
den, und hole etwas Gemüſe. Ich weiß, daß
Niemand weiter dort ſein wird, weil die Leute
anderswo ſchneiden; wenn Du willſt, ſo komm
dort hin, aber jetzt geh' und nimm Dich in Acht,
daß Dich Niemand ſieht! Wenn auch kein
Menſch hier mehr mit uns umgeht, ſo würden
ſie doch ein ſolches Gerede machen, daß es der
Vater ſogleich vernähme.« Sie ließen ſich jetzt
die Hände frei, ergriffen ſie aber auf der Stelle
wieder und beide ſagten gleichzeitig: »Und wie
geht es Dir auch?« Aber ſtatt ſich antworten
fragten ſie das Gleiche auf's Neue und die Ant¬
wort lag nur in den beredten Augen, da ſie
nach Art der Verliebten die Worte nicht mehr

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[272/0284] leicht nicht ſo ungeſehen weggehen kannſt wie jetzt! Noch iſt alles ſtill und Niemand um den Weg, ich bitte Dich, geh jetzt!« »Nein, ſo geh' ich nicht! ich mußte ſeit geſtern immer an Dich denken, und ich geh' nicht ſo fort, wir müſſen mit ein¬ ander reden, wenigſtens eine halbe Stunde lang oder eine Stunde, das wird uns gut thun!« Vrenchen beſann ſich ein Weilchen und ſagte dann: »Ich geh' gegen Abend auf unſern Acker hinaus, Du weißt welchen, wir haben nur noch den, und hole etwas Gemüſe. Ich weiß, daß Niemand weiter dort ſein wird, weil die Leute anderswo ſchneiden; wenn Du willſt, ſo komm dort hin, aber jetzt geh' und nimm Dich in Acht, daß Dich Niemand ſieht! Wenn auch kein Menſch hier mehr mit uns umgeht, ſo würden ſie doch ein ſolches Gerede machen, daß es der Vater ſogleich vernähme.« Sie ließen ſich jetzt die Hände frei, ergriffen ſie aber auf der Stelle wieder und beide ſagten gleichzeitig: »Und wie geht es Dir auch?« Aber ſtatt ſich antworten fragten ſie das Gleiche auf's Neue und die Ant¬ wort lag nur in den beredten Augen, da ſie nach Art der Verliebten die Worte nicht mehr

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/284>, abgerufen am 27.11.2024.