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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die
schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke
stürzten, sich gegenseitig packten und die Fäuste
in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer
bleichen zitternden Gesichter schlugen. Es ist
nichts Anmuthiges und nichts weniger als artig,
wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall
kommen, aus Übermuth, Unbedacht oder Noth¬
wehr unter allerhand Volk, das sie nicht näher
berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu be¬
kommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei
gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menschen
überwältigt, die sich wohl kennen und seit lange
kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und
aus dem Gange einer ganzen Lebensgeschichte
heraus sich mit nackten Händen anfassen und
mit Fäusten schlagen. So thaten jetzt diese bei¬
den ergrauten Männer; vor vierzig Jahren
vielleicht hatten sie sich als Buben zum letzten
Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre
mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in
ihrer guten Zeit, wo sie sich etwa zum Gruße
die Hände geschüttelt und auch dies nur selten
bei ihrem trockenen und sicheren Wesen. Nach¬

als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die
ſchmale, unter ihren Tritten ſchwankende Brücke
ſtürzten, ſich gegenſeitig packten und die Fäuſte
in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer
bleichen zitternden Geſichter ſchlugen. Es iſt
nichts Anmuthiges und nichts weniger als artig,
wenn ſonſt geſetzte Menſchen noch in den Fall
kommen, aus Übermuth, Unbedacht oder Noth¬
wehr unter allerhand Volk, das ſie nicht näher
berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu be¬
kommen; allein dies iſt eine harmloſe Spielerei
gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menſchen
überwältigt, die ſich wohl kennen und ſeit lange
kennen, wenn dieſe aus innerſter Feindſchaft und
aus dem Gange einer ganzen Lebensgeſchichte
heraus ſich mit nackten Händen anfaſſen und
mit Fäuſten ſchlagen. So thaten jetzt dieſe bei¬
den ergrauten Männer; vor vierzig Jahren
vielleicht hatten ſie ſich als Buben zum letzten
Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre
mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in
ihrer guten Zeit, wo ſie ſich etwa zum Gruße
die Hände geſchüttelt und auch dies nur ſelten
bei ihrem trockenen und ſicheren Weſen. Nach¬

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[258/0270] als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die ſchmale, unter ihren Tritten ſchwankende Brücke ſtürzten, ſich gegenſeitig packten und die Fäuſte in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen zitternden Geſichter ſchlugen. Es iſt nichts Anmuthiges und nichts weniger als artig, wenn ſonſt geſetzte Menſchen noch in den Fall kommen, aus Übermuth, Unbedacht oder Noth¬ wehr unter allerhand Volk, das ſie nicht näher berührt, Schläge auszutheilen oder welche zu be¬ kommen; allein dies iſt eine harmloſe Spielerei gegen das tiefe Elend, das zwei alte Menſchen überwältigt, die ſich wohl kennen und ſeit lange kennen, wenn dieſe aus innerſter Feindſchaft und aus dem Gange einer ganzen Lebensgeſchichte heraus ſich mit nackten Händen anfaſſen und mit Fäuſten ſchlagen. So thaten jetzt dieſe bei¬ den ergrauten Männer; vor vierzig Jahren vielleicht hatten ſie ſich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber vierzig lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo ſie ſich etwa zum Gruße die Hände geſchüttelt und auch dies nur ſelten bei ihrem trockenen und ſicheren Weſen. Nach¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/270>, abgerufen am 26.11.2024.