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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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diese Leute. Sie wußte manchen Rath zu ge¬
ben nunmehr in erbärmlichen Dingen, nach ih¬
rem Verstande, und wenn der Rath nichts zu
taugen schien und fehl schlug, so ertrug sie willig
den Grimm der Männer, kurzum, sie that jetzt
alles, da sie alt war, was besser gedient hätte,
wenn sie es früher geübt.

Um wenigstens etwas Beißbares zu erwer¬
ben und die Zeit zu verbringen, verlegten sich
Vater und Sohn auf die Fischerei, d. h. mit
der Angelruthe, so weit es für jeden erlaubt
war, sie in den Fluß zu hängen. Dies war
auch eine Hauptbeschäftigung der Seldwyler, nach¬
dem sie fallirt hatten. Bei günstigem Wetter,
wenn die Fische gern anbissen, sah man sie
dutzendweise hinauswandern mit Ruthe und Kü¬
bel, und wenn man an den Ufern des Flusses
wandelte, hockte alle Spanne lang Einer, der
angelte, der Eine in einem langen braunen Bür¬
gerrock, die bloßen Füße im Wasser, der andere
in einem spitzen blauen Frack auf einer alten
Weide stehend, den alten Filz schief auf dem
Ohre; weiterhin angelte gar Einer im zerrisse¬
nen großblumigen Schlafrock, da er keinen andern

dieſe Leute. Sie wußte manchen Rath zu ge¬
ben nunmehr in erbärmlichen Dingen, nach ih¬
rem Verſtande, und wenn der Rath nichts zu
taugen ſchien und fehl ſchlug, ſo ertrug ſie willig
den Grimm der Männer, kurzum, ſie that jetzt
alles, da ſie alt war, was beſſer gedient hätte,
wenn ſie es früher geübt.

Um wenigſtens etwas Beißbares zu erwer¬
ben und die Zeit zu verbringen, verlegten ſich
Vater und Sohn auf die Fiſcherei, d. h. mit
der Angelruthe, ſo weit es für jeden erlaubt
war, ſie in den Fluß zu hängen. Dies war
auch eine Hauptbeſchäftigung der Seldwyler, nach¬
dem ſie fallirt hatten. Bei günſtigem Wetter,
wenn die Fiſche gern anbiſſen, ſah man ſie
dutzendweiſe hinauswandern mit Ruthe und Kü¬
bel, und wenn man an den Ufern des Fluſſes
wandelte, hockte alle Spanne lang Einer, der
angelte, der Eine in einem langen braunen Bür¬
gerrock, die bloßen Füße im Waſſer, der andere
in einem ſpitzen blauen Frack auf einer alten
Weide ſtehend, den alten Filz ſchief auf dem
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nen großblumigen Schlafrock, da er keinen andern

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[252/0264] dieſe Leute. Sie wußte manchen Rath zu ge¬ ben nunmehr in erbärmlichen Dingen, nach ih¬ rem Verſtande, und wenn der Rath nichts zu taugen ſchien und fehl ſchlug, ſo ertrug ſie willig den Grimm der Männer, kurzum, ſie that jetzt alles, da ſie alt war, was beſſer gedient hätte, wenn ſie es früher geübt. Um wenigſtens etwas Beißbares zu erwer¬ ben und die Zeit zu verbringen, verlegten ſich Vater und Sohn auf die Fiſcherei, d. h. mit der Angelruthe, ſo weit es für jeden erlaubt war, ſie in den Fluß zu hängen. Dies war auch eine Hauptbeſchäftigung der Seldwyler, nach¬ dem ſie fallirt hatten. Bei günſtigem Wetter, wenn die Fiſche gern anbiſſen, ſah man ſie dutzendweiſe hinauswandern mit Ruthe und Kü¬ bel, und wenn man an den Ufern des Fluſſes wandelte, hockte alle Spanne lang Einer, der angelte, der Eine in einem langen braunen Bür¬ gerrock, die bloßen Füße im Waſſer, der andere in einem ſpitzen blauen Frack auf einer alten Weide ſtehend, den alten Filz ſchief auf dem Ohre; weiterhin angelte gar Einer im zerriſſe¬ nen großblumigen Schlafrock, da er keinen andern

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/264>, abgerufen am 25.11.2024.