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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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zwar in einer Sache, um die sich manche Mutter
vom gemeinen Schlage wenig bekümmert hätte.
Der Sohn war ungefähr zwei Jahre schon ver¬
heirathet, als das Ländchen, welchem Seldwyla
angehörte, seinen obersten maßgebenden Rath neu
zu bestellen und deshalben die vierjährigen Wah¬
len vorzunehmen hatte, in Folge deren denn
auch die verwaltenden und richterlichen Behörden
bestellt wurden. Bei den letzten Hauptwahlen
war Fritz noch nicht stimmfähig gewesen und es
war jetzt das erste Mal, wo er dergleichen bei¬
wohnen sollte. Es war aber eine große Stille
im Lande. Die Gegensätze hatten sich einiger¬
maßen ausgeglichen und die Parteien an einander
abgeschliffen; es wurde in allen Ecken fleißig
gearbeitet, man lichtete die alten Winkeleien in
der Gesetzsammlung und machte fleißig neue,
gute und schlechte, bauete öffentliche Werke, übte
sich in einer geschickten Verwaltung ohne Unbe¬
sonnenheit, doch auch ohne Zopf, und ging dar¬
auf aus, Jeden an seiner Stelle zu verwenden,
die er verstand und treulich versah, und endlich
gegen Jedermann artig und gerecht zu sein, der
es in seiner Weise gut meinte und selbst kein

zwar in einer Sache, um die ſich manche Mutter
vom gemeinen Schlage wenig bekümmert hätte.
Der Sohn war ungefähr zwei Jahre ſchon ver¬
heirathet, als das Ländchen, welchem Seldwyla
angehörte, ſeinen oberſten maßgebenden Rath neu
zu beſtellen und deshalben die vierjährigen Wah¬
len vorzunehmen hatte, in Folge deren denn
auch die verwaltenden und richterlichen Behörden
beſtellt wurden. Bei den letzten Hauptwahlen
war Fritz noch nicht ſtimmfähig geweſen und es
war jetzt das erſte Mal, wo er dergleichen bei¬
wohnen ſollte. Es war aber eine große Stille
im Lande. Die Gegenſätze hatten ſich einiger¬
maßen ausgeglichen und die Parteien an einander
abgeſchliffen; es wurde in allen Ecken fleißig
gearbeitet, man lichtete die alten Winkeleien in
der Geſetzſammlung und machte fleißig neue,
gute und ſchlechte, bauete öffentliche Werke, übte
ſich in einer geſchickten Verwaltung ohne Unbe¬
ſonnenheit, doch auch ohne Zopf, und ging dar¬
auf aus, Jeden an ſeiner Stelle zu verwenden,
die er verſtand und treulich verſah, und endlich
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[183/0195] zwar in einer Sache, um die ſich manche Mutter vom gemeinen Schlage wenig bekümmert hätte. Der Sohn war ungefähr zwei Jahre ſchon ver¬ heirathet, als das Ländchen, welchem Seldwyla angehörte, ſeinen oberſten maßgebenden Rath neu zu beſtellen und deshalben die vierjährigen Wah¬ len vorzunehmen hatte, in Folge deren denn auch die verwaltenden und richterlichen Behörden beſtellt wurden. Bei den letzten Hauptwahlen war Fritz noch nicht ſtimmfähig geweſen und es war jetzt das erſte Mal, wo er dergleichen bei¬ wohnen ſollte. Es war aber eine große Stille im Lande. Die Gegenſätze hatten ſich einiger¬ maßen ausgeglichen und die Parteien an einander abgeſchliffen; es wurde in allen Ecken fleißig gearbeitet, man lichtete die alten Winkeleien in der Geſetzſammlung und machte fleißig neue, gute und ſchlechte, bauete öffentliche Werke, übte ſich in einer geſchickten Verwaltung ohne Unbe¬ ſonnenheit, doch auch ohne Zopf, und ging dar¬ auf aus, Jeden an ſeiner Stelle zu verwenden, die er verſtand und treulich verſah, und endlich gegen Jedermann artig und gerecht zu ſein, der es in ſeiner Weiſe gut meinte und ſelbſt kein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/195>, abgerufen am 26.11.2024.