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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Als er sich nun wohlgeborgen und gestärkt
neben seiner Mutter sah, fragte er sie, warum
sie ihn denn so lange habe sitzen lassen? Sie
erwiederte kurz und ziemlich vergnügt, wie ihm
schien, daß das Geld eben nicht früher wäre
aufzutreiben gewesen. Er kannte aber den Stand
ihrer Angelegenheiten nur zu wohl und wußte
genau, wo die Mittel zu suchen und zu beziehen
waren. Er ließ also diese Ausflucht nicht gelten
und fragte abermals. Sie meinte, er möchte sich
nur zufrieden geben, da er durch sein Sitzen in
dem Thurme ein gutes Stück Geld verdient und
überdies Gelegenheit erhalten, eine schöne Erfah¬
rung zu machen. Gewiß habe er diesen oder
jenen vernünftigen Gedanken zu fassen die Muße
gehabt. "Du hast mich am Ende absichtlich
stecken lassen," erwiederte er und sah sie groß
an, "und hast mir in Deinem mütterlichen Sinne
das Gefängniß förmlich zuerkannt?" Hierauf
antwortete sie nichts, sondern lachte laut und
lustig in dem rollenden Wagen, wie er sie noch
nie lachen gesehen. Als er hierauf nicht wußte,
welches Gesicht er machen sollte und seltsam die
Nase rümpfte, umhals'te sie ihn noch lauter

Als er ſich nun wohlgeborgen und geſtärkt
neben ſeiner Mutter ſah, fragte er ſie, warum
ſie ihn denn ſo lange habe ſitzen laſſen? Sie
erwiederte kurz und ziemlich vergnügt, wie ihm
ſchien, daß das Geld eben nicht früher wäre
aufzutreiben geweſen. Er kannte aber den Stand
ihrer Angelegenheiten nur zu wohl und wußte
genau, wo die Mittel zu ſuchen und zu beziehen
waren. Er ließ alſo dieſe Ausflucht nicht gelten
und fragte abermals. Sie meinte, er möchte ſich
nur zufrieden geben, da er durch ſein Sitzen in
dem Thurme ein gutes Stück Geld verdient und
überdies Gelegenheit erhalten, eine ſchöne Erfah¬
rung zu machen. Gewiß habe er dieſen oder
jenen vernünftigen Gedanken zu faſſen die Muße
gehabt. »Du haſt mich am Ende abſichtlich
ſtecken laſſen,« erwiederte er und ſah ſie groß
an, »und haſt mir in Deinem mütterlichen Sinne
das Gefängniß förmlich zuerkannt?« Hierauf
antwortete ſie nichts, ſondern lachte laut und
luſtig in dem rollenden Wagen, wie er ſie noch
nie lachen geſehen. Als er hierauf nicht wußte,
welches Geſicht er machen ſollte und ſeltſam die
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[180/0192] Als er ſich nun wohlgeborgen und geſtärkt neben ſeiner Mutter ſah, fragte er ſie, warum ſie ihn denn ſo lange habe ſitzen laſſen? Sie erwiederte kurz und ziemlich vergnügt, wie ihm ſchien, daß das Geld eben nicht früher wäre aufzutreiben geweſen. Er kannte aber den Stand ihrer Angelegenheiten nur zu wohl und wußte genau, wo die Mittel zu ſuchen und zu beziehen waren. Er ließ alſo dieſe Ausflucht nicht gelten und fragte abermals. Sie meinte, er möchte ſich nur zufrieden geben, da er durch ſein Sitzen in dem Thurme ein gutes Stück Geld verdient und überdies Gelegenheit erhalten, eine ſchöne Erfah¬ rung zu machen. Gewiß habe er dieſen oder jenen vernünftigen Gedanken zu faſſen die Muße gehabt. »Du haſt mich am Ende abſichtlich ſtecken laſſen,« erwiederte er und ſah ſie groß an, »und haſt mir in Deinem mütterlichen Sinne das Gefängniß förmlich zuerkannt?« Hierauf antwortete ſie nichts, ſondern lachte laut und luſtig in dem rollenden Wagen, wie er ſie noch nie lachen geſehen. Als er hierauf nicht wußte, welches Geſicht er machen ſollte und ſeltſam die Naſe rümpfte, umhalſ'te ſie ihn noch lauter

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/192>, abgerufen am 26.11.2024.