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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Sohne, laut welchem er wirklich eingethürmt
war und sie um die sofortige Erlegung einer
Geldbürgschaft bat, gegen welche er entlassen
würde. Mehrere Kameraden seien schon auf diese
Weise frei gegeben worden. Denn die sieghafte
Regierung war in großen Geldnöthen und ver¬
schaffte sich auf diese Weise einige willkommene
außerordentliche Einkünfte, da sie nachher nur
die hinterlegten Summen in eben so viele Geld¬
bußen zu verwandeln brauchte. Frau Amrain
steckte den Brief ganz vergnügt in ihren Busen
und begann gemächlich und ohne sich zu über¬
eilen, die erforderlichen Geldmittel beizubringen
und zurecht zu legen, so daß wohl acht Tage
vergingen, ehe sie Anstalt machte, damit abzu¬
reisen. Da kam ein zweiter Brief, welchen der
Sohn Gelegenheit gefunden heimlich abzuschicken
und worin er sie beschwor, sich ja zu eilen, da
es ganz unerträglich sei, seinen Leib dergestalt
in der Gewalt verhaßter Menschen zu sehen.
Sie wären eingesperrt wie wilde Thiere, ohne
frische Luft und Bewegung und müßten Haber¬
muß und Erbsenkost aus einer hölzernen Bütte
gemeinschaftlich essen mit hölzernen Löffeln. Da

Sohne, laut welchem er wirklich eingethürmt
war und ſie um die ſofortige Erlegung einer
Geldbürgſchaft bat, gegen welche er entlaſſen
würde. Mehrere Kameraden ſeien ſchon auf dieſe
Weiſe frei gegeben worden. Denn die ſieghafte
Regierung war in großen Geldnöthen und ver¬
ſchaffte ſich auf dieſe Weiſe einige willkommene
außerordentliche Einkünfte, da ſie nachher nur
die hinterlegten Summen in eben ſo viele Geld¬
bußen zu verwandeln brauchte. Frau Amrain
ſteckte den Brief ganz vergnügt in ihren Buſen
und begann gemächlich und ohne ſich zu über¬
eilen, die erforderlichen Geldmittel beizubringen
und zurecht zu legen, ſo daß wohl acht Tage
vergingen, ehe ſie Anſtalt machte, damit abzu¬
reiſen. Da kam ein zweiter Brief, welchen der
Sohn Gelegenheit gefunden heimlich abzuſchicken
und worin er ſie beſchwor, ſich ja zu eilen, da
es ganz unerträglich ſei, ſeinen Leib dergeſtalt
in der Gewalt verhaßter Menſchen zu ſehen.
Sie wären eingeſperrt wie wilde Thiere, ohne
friſche Luft und Bewegung und müßten Haber¬
muß und Erbſenkoſt aus einer hölzernen Bütte
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[178/0190] Sohne, laut welchem er wirklich eingethürmt war und ſie um die ſofortige Erlegung einer Geldbürgſchaft bat, gegen welche er entlaſſen würde. Mehrere Kameraden ſeien ſchon auf dieſe Weiſe frei gegeben worden. Denn die ſieghafte Regierung war in großen Geldnöthen und ver¬ ſchaffte ſich auf dieſe Weiſe einige willkommene außerordentliche Einkünfte, da ſie nachher nur die hinterlegten Summen in eben ſo viele Geld¬ bußen zu verwandeln brauchte. Frau Amrain ſteckte den Brief ganz vergnügt in ihren Buſen und begann gemächlich und ohne ſich zu über¬ eilen, die erforderlichen Geldmittel beizubringen und zurecht zu legen, ſo daß wohl acht Tage vergingen, ehe ſie Anſtalt machte, damit abzu¬ reiſen. Da kam ein zweiter Brief, welchen der Sohn Gelegenheit gefunden heimlich abzuſchicken und worin er ſie beſchwor, ſich ja zu eilen, da es ganz unerträglich ſei, ſeinen Leib dergeſtalt in der Gewalt verhaßter Menſchen zu ſehen. Sie wären eingeſperrt wie wilde Thiere, ohne friſche Luft und Bewegung und müßten Haber¬ muß und Erbſenkoſt aus einer hölzernen Bütte gemeinſchaftlich eſſen mit hölzernen Löffeln. Da

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/190>, abgerufen am 26.11.2024.