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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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lichkeit, welche ein weiterer Charakterzug der
Seldwyler ist. Sie sind nämlich leidenschaftliche
Parteileute, Verfassungsrevisoren und Antragstel¬
ler, und wenn sie eine recht verrückte Motion
ausgeheckt haben und durch ihr Großrathsmitglied
stellen lassen, oder wenn der Ruf nach Verfas¬
sungsänderung in Seldwyla ausgeht, so weiß man
im Lande, daß im Augenblicke dort kein Geld
zirkulirt. Dabei lieben sie die Abwechselung der
Meinung und Grundsätze und sind stets den Tag
darauf, nachdem eine Regierung gewählt ist, in
der Opposition gegen dieselbe. Ist es ein radi¬
kales Regiment, so schaaren sie sich, um es zu
ärgern, um den konservativen frömmlichen Stadt¬
pfarrer, den sie noch gestern gehänselt, und ma¬
chen ihm den Hof, indem sie sich mit verstellter
Begeisterung in seine Kirche drängen, seine Pre¬
digten preisen und mit großem Geräusch seine
gedruckten Tractätchen und Berichte der Baseler-
Missionsgesellschaft umherbieten, natürlich ohne
ihm einen Pfennig beizusteuern. Ist aber ein
Regiment am Ruder, welches nur halbwegs kon¬
servativ aussieht, stracks drängen sie sich um die
vier Volkslehrer des Städtchens und der Pfarrer

lichkeit, welche ein weiterer Charakterzug der
Seldwyler iſt. Sie ſind nämlich leidenſchaftliche
Parteileute, Verfaſſungsreviſoren und Antragſtel¬
ler, und wenn ſie eine recht verrückte Motion
ausgeheckt haben und durch ihr Großrathsmitglied
ſtellen laſſen, oder wenn der Ruf nach Verfaſ¬
ſungsänderung in Seldwyla ausgeht, ſo weiß man
im Lande, daß im Augenblicke dort kein Geld
zirkulirt. Dabei lieben ſie die Abwechſelung der
Meinung und Grundſätze und ſind ſtets den Tag
darauf, nachdem eine Regierung gewählt iſt, in
der Oppoſition gegen dieſelbe. Iſt es ein radi¬
kales Regiment, ſo ſchaaren ſie ſich, um es zu
ärgern, um den konſervativen frömmlichen Stadt¬
pfarrer, den ſie noch geſtern gehänſelt, und ma¬
chen ihm den Hof, indem ſie ſich mit verſtellter
Begeiſterung in ſeine Kirche drängen, ſeine Pre¬
digten preiſen und mit großem Geräuſch ſeine
gedruckten Tractätchen und Berichte der Baſeler-
Miſſionsgeſellſchaft umherbieten, natürlich ohne
ihm einen Pfennig beizuſteuern. Iſt aber ein
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[5/0017] lichkeit, welche ein weiterer Charakterzug der Seldwyler iſt. Sie ſind nämlich leidenſchaftliche Parteileute, Verfaſſungsreviſoren und Antragſtel¬ ler, und wenn ſie eine recht verrückte Motion ausgeheckt haben und durch ihr Großrathsmitglied ſtellen laſſen, oder wenn der Ruf nach Verfaſ¬ ſungsänderung in Seldwyla ausgeht, ſo weiß man im Lande, daß im Augenblicke dort kein Geld zirkulirt. Dabei lieben ſie die Abwechſelung der Meinung und Grundſätze und ſind ſtets den Tag darauf, nachdem eine Regierung gewählt iſt, in der Oppoſition gegen dieſelbe. Iſt es ein radi¬ kales Regiment, ſo ſchaaren ſie ſich, um es zu ärgern, um den konſervativen frömmlichen Stadt¬ pfarrer, den ſie noch geſtern gehänſelt, und ma¬ chen ihm den Hof, indem ſie ſich mit verſtellter Begeiſterung in ſeine Kirche drängen, ſeine Pre¬ digten preiſen und mit großem Geräuſch ſeine gedruckten Tractätchen und Berichte der Baſeler- Miſſionsgeſellſchaft umherbieten, natürlich ohne ihm einen Pfennig beizuſteuern. Iſt aber ein Regiment am Ruder, welches nur halbwegs kon¬ ſervativ ausſieht, ſtracks drängen ſie ſich um die vier Volkslehrer des Städtchens und der Pfarrer

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/17>, abgerufen am 27.11.2024.