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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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rige Herr werde vergangene Nacht wohl diesen
Weg eingeschlagen haben, wie es sich denn auch
erwies. Als die Sonne aufging, schlenderte ich
gemächlich über ein hügeliges goldgelbes Gefilde,
dessen Unebenheiten lange himmelblaue Schatten
über den goldenen Boden hinstreckten. Der
Himmel war so dunkelblau wie Lydia's Augen,
woran ich unversehens dadurch erinnert wurde;
in weiter Ferne zogen sich blaue Berge hin,
woran das arabische Städtchen lag, das ich be¬
wohnte, und am andern Rande der Aussicht
einige Wälder und grüne Fluren, auf denen
man den Rauch und selbst die Zelte der Be¬
duinen wie schwarze Punkte sehen konnte. Es
war todtenstill überall und kein lebendes Wesen
zu erspähen. Da stieß ich an den Rand einer
Schlucht, welche sich durch die ganze steinige
Gegend hinzog und nicht zu sehen war, bis man
dicht an ihr stand. Es floß ein kühler frischer
Bach auf ihrem Grunde, und wo ich eben stand,
war die Vertiefung ganz mit blühendem Olean¬
dergebüsch angefüllt. Nichts war schöner zu sehen,
als das frische Grün dieser Sträucher und ihre
tausendfältigen rosenrothen Blüthen und zu un¬

rige Herr werde vergangene Nacht wohl dieſen
Weg eingeſchlagen haben, wie es ſich denn auch
erwies. Als die Sonne aufging, ſchlenderte ich
gemächlich über ein hügeliges goldgelbes Gefilde,
deſſen Unebenheiten lange himmelblaue Schatten
über den goldenen Boden hinſtreckten. Der
Himmel war ſo dunkelblau wie Lydia's Augen,
woran ich unverſehens dadurch erinnert wurde;
in weiter Ferne zogen ſich blaue Berge hin,
woran das arabiſche Städtchen lag, das ich be¬
wohnte, und am andern Rande der Ausſicht
einige Wälder und grüne Fluren, auf denen
man den Rauch und ſelbſt die Zelte der Be¬
duinen wie ſchwarze Punkte ſehen konnte. Es
war todtenſtill überall und kein lebendes Weſen
zu erſpähen. Da ſtieß ich an den Rand einer
Schlucht, welche ſich durch die ganze ſteinige
Gegend hinzog und nicht zu ſehen war, bis man
dicht an ihr ſtand. Es floß ein kühler friſcher
Bach auf ihrem Grunde, und wo ich eben ſtand,
war die Vertiefung ganz mit blühendem Olean¬
dergebüſch angefüllt. Nichts war ſchöner zu ſehen,
als das friſche Grün dieſer Sträucher und ihre
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[105/0117] rige Herr werde vergangene Nacht wohl dieſen Weg eingeſchlagen haben, wie es ſich denn auch erwies. Als die Sonne aufging, ſchlenderte ich gemächlich über ein hügeliges goldgelbes Gefilde, deſſen Unebenheiten lange himmelblaue Schatten über den goldenen Boden hinſtreckten. Der Himmel war ſo dunkelblau wie Lydia's Augen, woran ich unverſehens dadurch erinnert wurde; in weiter Ferne zogen ſich blaue Berge hin, woran das arabiſche Städtchen lag, das ich be¬ wohnte, und am andern Rande der Ausſicht einige Wälder und grüne Fluren, auf denen man den Rauch und ſelbſt die Zelte der Be¬ duinen wie ſchwarze Punkte ſehen konnte. Es war todtenſtill überall und kein lebendes Weſen zu erſpähen. Da ſtieß ich an den Rand einer Schlucht, welche ſich durch die ganze ſteinige Gegend hinzog und nicht zu ſehen war, bis man dicht an ihr ſtand. Es floß ein kühler friſcher Bach auf ihrem Grunde, und wo ich eben ſtand, war die Vertiefung ganz mit blühendem Olean¬ dergebüſch angefüllt. Nichts war ſchöner zu ſehen, als das friſche Grün dieſer Sträucher und ihre tauſendfältigen roſenrothen Blüthen und zu un¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/117>, abgerufen am 12.12.2024.