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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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schäftsverkehr, ohne gerade böse oder ungerecht
zu sein. Meine Hauptthätigkeit bestand darin,
christliche Polizei einzuführen und unsern Reli¬
gionsleuten nachdrücklichen Schutz zu gewähren,
damit sie ungefährdet arbeiten konnten. Haupt¬
sächlich aber hatte ich das Verbrennen der indi¬
schen Weiber zu verhüten, wenn ihre Männer
gestorben, und da die Leute eine förmliche Sucht
hatten, unserm englischen Verbote zu kontraveni¬
ren und einander bei lebendigem Leibe zu braten
zu Ehren der Gattentreue, so mußten wir stets
auf den Beinen sein, um dergleichen zu verhüten.
Sie waren dann eben so mürrisch und mißver¬
gnügt, wie wenn hierzulande die Polizei ein
unerlaubtes Vergnügen stört. Einmal hatten sie
in einem entfernten Dorfe die Sache ganz schlau
und heimlich so weit gebracht, daß der Scheiter¬
haufen schon lichterloh brannte, als ich athemlos
herzugeritten kam und das Völkchen auseinander
jagte. Auf dem Feuer lag die Leiche eines ur¬
alten gänzlich vertrockneten Gockelhahns, welcher
schon ein wenig brenzelte. Neben ihm aber lag
ein bildschönes Weibchen von kaum sechszehn
Jahren, welches mit lächelndem Munde und sil¬

ſchäftsverkehr, ohne gerade böſe oder ungerecht
zu ſein. Meine Hauptthätigkeit beſtand darin,
chriſtliche Polizei einzuführen und unſern Reli¬
gionsleuten nachdrücklichen Schutz zu gewähren,
damit ſie ungefährdet arbeiten konnten. Haupt¬
ſächlich aber hatte ich das Verbrennen der indi¬
ſchen Weiber zu verhüten, wenn ihre Männer
geſtorben, und da die Leute eine förmliche Sucht
hatten, unſerm engliſchen Verbote zu kontraveni¬
ren und einander bei lebendigem Leibe zu braten
zu Ehren der Gattentreue, ſo mußten wir ſtets
auf den Beinen ſein, um dergleichen zu verhüten.
Sie waren dann eben ſo mürriſch und mißver¬
gnügt, wie wenn hierzulande die Polizei ein
unerlaubtes Vergnügen ſtört. Einmal hatten ſie
in einem entfernten Dorfe die Sache ganz ſchlau
und heimlich ſo weit gebracht, daß der Scheiter¬
haufen ſchon lichterloh brannte, als ich athemlos
herzugeritten kam und das Völkchen auseinander
jagte. Auf dem Feuer lag die Leiche eines ur¬
alten gänzlich vertrockneten Gockelhahns, welcher
ſchon ein wenig brenzelte. Neben ihm aber lag
ein bildſchönes Weibchen von kaum ſechszehn
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[94/0106] ſchäftsverkehr, ohne gerade böſe oder ungerecht zu ſein. Meine Hauptthätigkeit beſtand darin, chriſtliche Polizei einzuführen und unſern Reli¬ gionsleuten nachdrücklichen Schutz zu gewähren, damit ſie ungefährdet arbeiten konnten. Haupt¬ ſächlich aber hatte ich das Verbrennen der indi¬ ſchen Weiber zu verhüten, wenn ihre Männer geſtorben, und da die Leute eine förmliche Sucht hatten, unſerm engliſchen Verbote zu kontraveni¬ ren und einander bei lebendigem Leibe zu braten zu Ehren der Gattentreue, ſo mußten wir ſtets auf den Beinen ſein, um dergleichen zu verhüten. Sie waren dann eben ſo mürriſch und mißver¬ gnügt, wie wenn hierzulande die Polizei ein unerlaubtes Vergnügen ſtört. Einmal hatten ſie in einem entfernten Dorfe die Sache ganz ſchlau und heimlich ſo weit gebracht, daß der Scheiter¬ haufen ſchon lichterloh brannte, als ich athemlos herzugeritten kam und das Völkchen auseinander jagte. Auf dem Feuer lag die Leiche eines ur¬ alten gänzlich vertrockneten Gockelhahns, welcher ſchon ein wenig brenzelte. Neben ihm aber lag ein bildſchönes Weibchen von kaum ſechszehn Jahren, welches mit lächelndem Munde und ſil¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/106>, abgerufen am 03.05.2024.