sie fortwährend küssen, aber sie wußte verschämt und züchtig ihn abzuhalten, mit einem verführe¬ rischen Lächeln, und schwur, daß sie dieses vor Zeugen und vor Anbruch der Nacht nicht thun würde. Dies machte ihn nur noch verliebter und glückseliger, und Spiegel würzte das Mahl mit lieblichen Gesprächen, welche die schöne Frau mit den angenehmsten, witzigsten und einschmei¬ chelndsten Worten fortführte, so daß der Hexen¬ meister nicht wußte, wie ihm geschah vor Zu¬ friedenheit. Als es aber dunkel geworden, be¬ urlaubten sich die Eule und die Katze und ent¬ fernten sich bescheiden; Herr Pineiß begleitete sie bis unter die Hausthüre mit einem Lichte und dankte dem Spiegel nochmals, indem er ihn ei¬ nen trefflichen und höflichen Mann nannte, und als er in die Stube zurückkehrte, saß die alte weiße Beghine, seine Nachbarin, am Tisch und sah ihn mit einem bösen Blick an. Entsetzt ließ Pineiß den Leuchter fallen und lehnte sich zit¬ ternd an die Wand. Er hing die Zunge her¬ aus und sein Gesicht war so fahl und spitzig geworden, wie das der Beghine. Diese aber stand auf, näherte sich ihm und trieb ihn vor
ſie fortwährend küſſen, aber ſie wußte verſchämt und züchtig ihn abzuhalten, mit einem verführe¬ riſchen Lächeln, und ſchwur, daß ſie dieſes vor Zeugen und vor Anbruch der Nacht nicht thun würde. Dies machte ihn nur noch verliebter und glückſeliger, und Spiegel würzte das Mahl mit lieblichen Geſprächen, welche die ſchöne Frau mit den angenehmſten, witzigſten und einſchmei¬ chelndſten Worten fortführte, ſo daß der Hexen¬ meiſter nicht wußte, wie ihm geſchah vor Zu¬ friedenheit. Als es aber dunkel geworden, be¬ urlaubten ſich die Eule und die Katze und ent¬ fernten ſich beſcheiden; Herr Pineiß begleitete ſie bis unter die Hausthüre mit einem Lichte und dankte dem Spiegel nochmals, indem er ihn ei¬ nen trefflichen und höflichen Mann nannte, und als er in die Stube zurückkehrte, ſaß die alte weiße Beghine, ſeine Nachbarin, am Tiſch und ſah ihn mit einem böſen Blick an. Entſetzt ließ Pineiß den Leuchter fallen und lehnte ſich zit¬ ternd an die Wand. Er hing die Zunge her¬ aus und ſein Geſicht war ſo fahl und ſpitzig geworden, wie das der Beghine. Dieſe aber ſtand auf, näherte ſich ihm und trieb ihn vor
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ſie fortwährend küſſen, aber ſie wußte verſchämt
und züchtig ihn abzuhalten, mit einem verführe¬
riſchen Lächeln, und ſchwur, daß ſie dieſes vor
Zeugen und vor Anbruch der Nacht nicht thun
würde. Dies machte ihn nur noch verliebter
und glückſeliger, und Spiegel würzte das Mahl
mit lieblichen Geſprächen, welche die ſchöne Frau
mit den angenehmſten, witzigſten und einſchmei¬
chelndſten Worten fortführte, ſo daß der Hexen¬
meiſter nicht wußte, wie ihm geſchah vor Zu¬
friedenheit. Als es aber dunkel geworden, be¬
urlaubten ſich die Eule und die Katze und ent¬
fernten ſich beſcheiden; Herr Pineiß begleitete ſie
bis unter die Hausthüre mit einem Lichte und
dankte dem Spiegel nochmals, indem er ihn ei¬
nen trefflichen und höflichen Mann nannte, und
als er in die Stube zurückkehrte, ſaß die alte
weiße Beghine, ſeine Nachbarin, am Tiſch und
ſah ihn mit einem böſen Blick an. Entſetzt ließ
Pineiß den Leuchter fallen und lehnte ſich zit¬
ternd an die Wand. Er hing die Zunge her¬
aus und ſein Geſicht war ſo fahl und ſpitzig
geworden, wie das der Beghine. Dieſe aber
ſtand auf, näherte ſich ihm und trieb ihn vor
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/534>, abgerufen am 27.12.2024.
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