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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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und wird von den Bürgern dort geachtet und
verschont; der Strauß läßt sich satteln und rei¬
ten wie ein Roß; der wilde Büffel ziehet den
Wagen des Menschen und das gehörnte Rennthier
seinen Schlitten. Das Einhorn liefert ihm das
schneeweiße Elfenbein und die Schildkröte ihre
durchsichtigen Knochen" --

"Mit Verlaub," sagten alle drei Kammmacher
zugleich, "hierin irren Sie sich gewißlich, das
Elfenbein wird aus den Elephantenzähnen ge¬
wonnen und die Schildpattkämme macht man
aus der Schaale und nicht aus den Knochen der
Schildkröte!"

Züs wurde feuerroth und sagte: "Das ist
noch die Frage, denn ihr habt gewiß nicht ge¬
sehen, wo man es hernimmt, sondern verarbeitet
nur die Stücke; ich irre mich sonst selten, doch
sei dem wie ihm wolle, so lasset mich ausreden:
nicht nur die Thiere haben ihre merkwürdigen
von Gott eingepflanzten Besonderheiten, sondern
selbst das todte Gestein, so aus den Bergen
gegraben wird. Der Kristall ist durchsichtig wie
Glas, der Marmor aber hart und geädert, bald
weiß und bald schwarz; der Bernstein hat elec¬

und wird von den Bürgern dort geachtet und
verſchont; der Strauß läßt ſich ſatteln und rei¬
ten wie ein Roß; der wilde Büffel ziehet den
Wagen des Menſchen und das gehörnte Rennthier
ſeinen Schlitten. Das Einhorn liefert ihm das
ſchneeweiße Elfenbein und die Schildkröte ihre
durchſichtigen Knochen« —

»Mit Verlaub,« ſagten alle drei Kammmacher
zugleich, »hierin irren Sie ſich gewißlich, das
Elfenbein wird aus den Elephantenzähnen ge¬
wonnen und die Schildpattkämme macht man
aus der Schaale und nicht aus den Knochen der
Schildkröte!«

Züs wurde feuerroth und ſagte: »Das iſt
noch die Frage, denn ihr habt gewiß nicht ge¬
ſehen, wo man es hernimmt, ſondern verarbeitet
nur die Stücke; ich irre mich ſonſt ſelten, doch
ſei dem wie ihm wolle, ſo laſſet mich ausreden:
nicht nur die Thiere haben ihre merkwürdigen
von Gott eingepflanzten Beſonderheiten, ſondern
ſelbſt das todte Geſtein, ſo aus den Bergen
gegraben wird. Der Kriſtall iſt durchſichtig wie
Glas, der Marmor aber hart und geädert, bald
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[427/0439] und wird von den Bürgern dort geachtet und verſchont; der Strauß läßt ſich ſatteln und rei¬ ten wie ein Roß; der wilde Büffel ziehet den Wagen des Menſchen und das gehörnte Rennthier ſeinen Schlitten. Das Einhorn liefert ihm das ſchneeweiße Elfenbein und die Schildkröte ihre durchſichtigen Knochen« — »Mit Verlaub,« ſagten alle drei Kammmacher zugleich, »hierin irren Sie ſich gewißlich, das Elfenbein wird aus den Elephantenzähnen ge¬ wonnen und die Schildpattkämme macht man aus der Schaale und nicht aus den Knochen der Schildkröte!« Züs wurde feuerroth und ſagte: »Das iſt noch die Frage, denn ihr habt gewiß nicht ge¬ ſehen, wo man es hernimmt, ſondern verarbeitet nur die Stücke; ich irre mich ſonſt ſelten, doch ſei dem wie ihm wolle, ſo laſſet mich ausreden: nicht nur die Thiere haben ihre merkwürdigen von Gott eingepflanzten Beſonderheiten, ſondern ſelbſt das todte Geſtein, ſo aus den Bergen gegraben wird. Der Kriſtall iſt durchſichtig wie Glas, der Marmor aber hart und geädert, bald weiß und bald ſchwarz; der Bernſtein hat elec¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/439>, abgerufen am 26.11.2024.