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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Da ward Bertraden die Sache soweit klar, daß
sie abermals die Hand ihrer gnädigen Patronin er¬
blickte. Jetzt erst aber durfte sie den wackern Ritter
keck als eine Himmelsgabe betrachten, und sie war
dankbar genug, das handfeste Geschenk recht an's
Herz zu drücken und demselben den süßen Kuß voll¬
wichtig zurückzugeben, den sie vom Himmel selbst
empfangen.

Von jetzt an verließ aber den Ritter Zendelwald
alle seine Trägheit und träumerische Unentschlossen¬
heit; er that und redete alles zur rechten Zeit, vor
der zärtlichen Bertrade sowohl, als vor der übrigen
Welt, und wurde ein ganzer Mann im Reiche, so
daß der Kaiser ebenso zufrieden mit ihm war, als
seine Gemahlin.

Zendelwalds Mutter aber erschien bei der Hoch¬
zeit hoch zu Roß und so stolz, als ob sie zeitlebens
im Glück gesessen hätte. Sie verwaltete Geld und
Gut und jagte bis in ihr hohes Alter in den weit¬
läufigen Forsten, während Bertrade es sich nicht
nehmen ließ, sich alljährlich einmal von Zendelwald
in dessen einsames Heimathschlößchen bringen zu
lassen, wo sie auf dem grauen Thurme mit ihrem
Liebsten so zärtlich horstete, wie die wilden Tauben
auf den Bäumen umher. Aber niemals unterließen

Da ward Bertraden die Sache ſoweit klar, daß
ſie abermals die Hand ihrer gnädigen Patronin er¬
blickte. Jetzt erſt aber durfte ſie den wackern Ritter
keck als eine Himmelsgabe betrachten, und ſie war
dankbar genug, das handfeſte Geſchenk recht an's
Herz zu drücken und demſelben den ſüßen Kuß voll¬
wichtig zurückzugeben, den ſie vom Himmel ſelbſt
empfangen.

Von jetzt an verließ aber den Ritter Zendelwald
alle ſeine Trägheit und träumeriſche Unentſchloſſen¬
heit; er that und redete alles zur rechten Zeit, vor
der zärtlichen Bertrade ſowohl, als vor der übrigen
Welt, und wurde ein ganzer Mann im Reiche, ſo
daß der Kaiſer ebenſo zufrieden mit ihm war, als
ſeine Gemahlin.

Zendelwalds Mutter aber erſchien bei der Hoch¬
zeit hoch zu Roß und ſo ſtolz, als ob ſie zeitlebens
im Glück geſeſſen hätte. Sie verwaltete Geld und
Gut und jagte bis in ihr hohes Alter in den weit¬
läufigen Forſten, während Bertrade es ſich nicht
nehmen ließ, ſich alljährlich einmal von Zendelwald
in deſſen einſames Heimathſchlößchen bringen zu
laſſen, wo ſie auf dem grauen Thurme mit ihrem
Liebſten ſo zärtlich horſtete, wie die wilden Tauben
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[64/0078] Da ward Bertraden die Sache ſoweit klar, daß ſie abermals die Hand ihrer gnädigen Patronin er¬ blickte. Jetzt erſt aber durfte ſie den wackern Ritter keck als eine Himmelsgabe betrachten, und ſie war dankbar genug, das handfeſte Geſchenk recht an's Herz zu drücken und demſelben den ſüßen Kuß voll¬ wichtig zurückzugeben, den ſie vom Himmel ſelbſt empfangen. Von jetzt an verließ aber den Ritter Zendelwald alle ſeine Trägheit und träumeriſche Unentſchloſſen¬ heit; er that und redete alles zur rechten Zeit, vor der zärtlichen Bertrade ſowohl, als vor der übrigen Welt, und wurde ein ganzer Mann im Reiche, ſo daß der Kaiſer ebenſo zufrieden mit ihm war, als ſeine Gemahlin. Zendelwalds Mutter aber erſchien bei der Hoch¬ zeit hoch zu Roß und ſo ſtolz, als ob ſie zeitlebens im Glück geſeſſen hätte. Sie verwaltete Geld und Gut und jagte bis in ihr hohes Alter in den weit¬ läufigen Forſten, während Bertrade es ſich nicht nehmen ließ, ſich alljährlich einmal von Zendelwald in deſſen einſames Heimathſchlößchen bringen zu laſſen, wo ſie auf dem grauen Thurme mit ihrem Liebſten ſo zärtlich horſtete, wie die wilden Tauben auf den Bäumen umher. Aber niemals unterließen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/78>, abgerufen am 26.11.2024.