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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Es vergiengen beinahe zwei Jahre, während welcher
Eugenia womöglich immer merkwürdiger und eine
wahrhaft imposante Person wurde, indessen die Hya¬
zinthen allbereits zwei starke Bengel vorstellten, denen
der Bart wuchs. Obgleich man jetzt von allen Sei¬
ten anfing, sich über dies seltsame Verhältniß aufzu¬
halten, und anstatt der bewundernden Epigramme
satyrische Proben dieser Art aufzutauchen begannen,
so konnte sie sich doch nicht entschließen, ihre Leib¬
garde zu verabschieden; denn noch war ja Aquilinus
da, der ihr dieselbe hatte verbieten wollen. Er ging
ruhig seinen Gang fort und schien sich um sie nicht
weiter zu bekümmern; aber er sah auch kein anderes
Weib an, und man hörte von keiner Bewerbung mehr,
so daß auch er getadelt wurde, als ein so hoher Be¬
amter unbeweibt fortzuleben.

Um so mehr hütete sich die eigensinnige Eugenia,
ihm durch Entfernung der anstößigen Gesellen schein¬
bar ein Zeichen der Annäherung zu geben. Ueberdies
reizte es sie, der allgemeinen Sitte und der öffent¬
lichen Meinung zum Trotz nur sich allein Rechen¬
schaft zu geben und unter Umständen, welche für alle
andern Frauen gefährlich und unthunlich gewesen
wären, das Bewußtsein eines reinen Lebens zu bewahren.

Denn alle solche Wunderlichkeiten lagen dazumal
in der Luft.

Es vergiengen beinahe zwei Jahre, während welcher
Eugenia womöglich immer merkwürdiger und eine
wahrhaft impoſante Perſon wurde, indeſſen die Hya¬
zinthen allbereits zwei ſtarke Bengel vorſtellten, denen
der Bart wuchs. Obgleich man jetzt von allen Sei¬
ten anfing, ſich über dies ſeltſame Verhältniß aufzu¬
halten, und anſtatt der bewundernden Epigramme
ſatyriſche Proben dieſer Art aufzutauchen begannen,
ſo konnte ſie ſich doch nicht entſchließen, ihre Leib¬
garde zu verabſchieden; denn noch war ja Aquilinus
da, der ihr dieſelbe hatte verbieten wollen. Er ging
ruhig ſeinen Gang fort und ſchien ſich um ſie nicht
weiter zu bekümmern; aber er ſah auch kein anderes
Weib an, und man hörte von keiner Bewerbung mehr,
ſo daß auch er getadelt wurde, als ein ſo hoher Be¬
amter unbeweibt fortzuleben.

Um ſo mehr hütete ſich die eigenſinnige Eugenia,
ihm durch Entfernung der anſtößigen Geſellen ſchein¬
bar ein Zeichen der Annäherung zu geben. Ueberdies
reizte es ſie, der allgemeinen Sitte und der öffent¬
lichen Meinung zum Trotz nur ſich allein Rechen¬
ſchaft zu geben und unter Umſtänden, welche für alle
andern Frauen gefährlich und unthunlich geweſen
wären, das Bewußtſein eines reinen Lebens zu bewahren.

Denn alle ſolche Wunderlichkeiten lagen dazumal
in der Luft.

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[9/0023] Es vergiengen beinahe zwei Jahre, während welcher Eugenia womöglich immer merkwürdiger und eine wahrhaft impoſante Perſon wurde, indeſſen die Hya¬ zinthen allbereits zwei ſtarke Bengel vorſtellten, denen der Bart wuchs. Obgleich man jetzt von allen Sei¬ ten anfing, ſich über dies ſeltſame Verhältniß aufzu¬ halten, und anſtatt der bewundernden Epigramme ſatyriſche Proben dieſer Art aufzutauchen begannen, ſo konnte ſie ſich doch nicht entſchließen, ihre Leib¬ garde zu verabſchieden; denn noch war ja Aquilinus da, der ihr dieſelbe hatte verbieten wollen. Er ging ruhig ſeinen Gang fort und ſchien ſich um ſie nicht weiter zu bekümmern; aber er ſah auch kein anderes Weib an, und man hörte von keiner Bewerbung mehr, ſo daß auch er getadelt wurde, als ein ſo hoher Be¬ amter unbeweibt fortzuleben. Um ſo mehr hütete ſich die eigenſinnige Eugenia, ihm durch Entfernung der anſtößigen Geſellen ſchein¬ bar ein Zeichen der Annäherung zu geben. Ueberdies reizte es ſie, der allgemeinen Sitte und der öffent¬ lichen Meinung zum Trotz nur ſich allein Rechen¬ ſchaft zu geben und unter Umſtänden, welche für alle andern Frauen gefährlich und unthunlich geweſen wären, das Bewußtſein eines reinen Lebens zu bewahren. Denn alle ſolche Wunderlichkeiten lagen dazumal in der Luft.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/23>, abgerufen am 24.11.2024.