des Wesentlichen den Leuten des Unwesentlichen das, worauf es ankommt, entgegen halten, was diese nicht verstehen, diese aber das, worauf es nicht ankommt, hervorkehren, was jene hinwieder nicht begreifen. Beide Abtheilungen verfallen aber einer sehr tragischen Schuld; die eine, weil sie sich immer mit Dingen abgiebt, auf welche es unter den gegebenen Umständen niemals ankommt, läßt sich eine muthwillige und unnütze Thätigkeit zu Schulden kommen; die andere, weil in der allgemeinen Verwirrung ihr leicht Alles eitel und werthlos erscheint, hat eine Neigung, es dem Zu¬ fall zu überlassen, ob er ihr Anknüpfungspunkte zum Erfassen und Durcharbeiten zuführen wolle, und einen bedenklichen Hang zur Trägheit, an¬ statt die Dinge zu schütteln und das Wesentliche aus freiem Entschlusse an die Oberfläche und an sich heranzuziehen. Jene leben daher in munterer Begehungssünde, diese leiden an Unterlassungs¬ sünden.
Heinrich fühlte plötzlich, daß er, was wenig¬ stens das Unterlassen betrifft, bisanher zu der letz¬ teren Sündenschaar gehört habe, als der Professor
des Weſentlichen den Leuten des Unweſentlichen das, worauf es ankommt, entgegen halten, was dieſe nicht verſtehen, dieſe aber das, worauf es nicht ankommt, hervorkehren, was jene hinwieder nicht begreifen. Beide Abtheilungen verfallen aber einer ſehr tragiſchen Schuld; die eine, weil ſie ſich immer mit Dingen abgiebt, auf welche es unter den gegebenen Umſtaͤnden niemals ankommt, laͤßt ſich eine muthwillige und unnuͤtze Thaͤtigkeit zu Schulden kommen; die andere, weil in der allgemeinen Verwirrung ihr leicht Alles eitel und werthlos erſcheint, hat eine Neigung, es dem Zu¬ fall zu uͤberlaſſen, ob er ihr Anknuͤpfungspunkte zum Erfaſſen und Durcharbeiten zufuͤhren wolle, und einen bedenklichen Hang zur Traͤgheit, an¬ ſtatt die Dinge zu ſchuͤtteln und das Weſentliche aus freiem Entſchluſſe an die Oberflaͤche und an ſich heranzuziehen. Jene leben daher in munterer Begehungsſuͤnde, dieſe leiden an Unterlaſſungs¬ ſuͤnden.
Heinrich fuͤhlte ploͤtzlich, daß er, was wenig¬ ſtens das Unterlaſſen betrifft, bisanher zu der letz¬ teren Suͤndenſchaar gehoͤrt habe, als der Profeſſor
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des Weſentlichen den Leuten des Unweſentlichen
das, worauf es ankommt, entgegen halten, was
dieſe nicht verſtehen, dieſe aber das, worauf es
nicht ankommt, hervorkehren, was jene hinwieder
nicht begreifen. Beide Abtheilungen verfallen
aber einer ſehr tragiſchen Schuld; die eine, weil
ſie ſich immer mit Dingen abgiebt, auf welche es
unter den gegebenen Umſtaͤnden niemals ankommt,
laͤßt ſich eine muthwillige und unnuͤtze Thaͤtigkeit
zu Schulden kommen; die andere, weil in der
allgemeinen Verwirrung ihr leicht Alles eitel und
werthlos erſcheint, hat eine Neigung, es dem Zu¬
fall zu uͤberlaſſen, ob er ihr Anknuͤpfungspunkte
zum Erfaſſen und Durcharbeiten zufuͤhren wolle,
und einen bedenklichen Hang zur Traͤgheit, an¬
ſtatt die Dinge zu ſchuͤtteln und das Weſentliche
aus freiem Entſchluſſe an die Oberflaͤche und an
ſich heranzuziehen. Jene leben daher in munterer
Begehungsſuͤnde, dieſe leiden an Unterlaſſungs¬
ſuͤnden.
Heinrich fuͤhlte ploͤtzlich, daß er, was wenig¬
ſtens das Unterlaſſen betrifft, bisanher zu der letz¬
teren Suͤndenſchaar gehoͤrt habe, als der Profeſſor
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/77>, abgerufen am 25.11.2024.
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