wolkenreinen Höhe. Er vermochte aber den lachenden Himmel und das grüne Land nicht länger zu ertragen und wollte zur Stadt zurück, wo er sich in dem Sterbegemach der Mutter ver¬ barg. Die Liebe und Sehnsucht zu Dortchen wachte auf's Neue mit verdoppelter Macht auf, seine Augen drangen den Sonnenstrahlen nach, welche über die Dächer in die dunkle Wohnung streiften, und seine Blicke glaubten auf dem gol¬ denen Wege, der zu einem schmalen Stückchen blauer Luft führte, die Geliebte und das verlo¬ rene Glück finden zu müssen.
Er schrieb Alles an den Grafen; aber ehe eine Antwort da sein konnte, rieb es ihn auf, sein Leib und Leben brach und er starb in wenigen Tagen. Seine Leiche hielt jenes Zettelchen von Dortchen fest in der Hand, worauf das Liedchen von der Hoff¬ nung geschrieben war. Er hatte es in der letzten Zeit nicht einen Augenblick aus der Hand gelassen, und selbst wenn er einen Teller Suppe, seine einzige Speise, gegessen, das Papierchen eifrig mit dem Löffel zusammen in der Hand gehalten oder es unterdessen in die andere Hand gesteckt.
wolkenreinen Hoͤhe. Er vermochte aber den lachenden Himmel und das gruͤne Land nicht laͤnger zu ertragen und wollte zur Stadt zuruͤck, wo er ſich in dem Sterbegemach der Mutter ver¬ barg. Die Liebe und Sehnſucht zu Dortchen wachte auf's Neue mit verdoppelter Macht auf, ſeine Augen drangen den Sonnenſtrahlen nach, welche uͤber die Daͤcher in die dunkle Wohnung ſtreiften, und ſeine Blicke glaubten auf dem gol¬ denen Wege, der zu einem ſchmalen Stuͤckchen blauer Luft fuͤhrte, die Geliebte und das verlo¬ rene Gluͤck finden zu muͤſſen.
Er ſchrieb Alles an den Grafen; aber ehe eine Antwort da ſein konnte, rieb es ihn auf, ſein Leib und Leben brach und er ſtarb in wenigen Tagen. Seine Leiche hielt jenes Zettelchen von Dortchen feſt in der Hand, worauf das Liedchen von der Hoff¬ nung geſchrieben war. Er hatte es in der letzten Zeit nicht einen Augenblick aus der Hand gelaſſen, und ſelbſt wenn er einen Teller Suppe, ſeine einzige Speiſe, gegeſſen, das Papierchen eifrig mit dem Loͤffel zuſammen in der Hand gehalten oder es unterdeſſen in die andere Hand geſteckt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0492"n="482"/>
wolkenreinen Hoͤhe. Er vermochte aber den<lb/>
lachenden Himmel und das gruͤne Land nicht<lb/>
laͤnger zu ertragen und wollte zur Stadt zuruͤck,<lb/>
wo er ſich in dem Sterbegemach der Mutter ver¬<lb/>
barg. Die Liebe und Sehnſucht zu Dortchen<lb/>
wachte auf's Neue mit verdoppelter Macht auf,<lb/>ſeine Augen drangen den Sonnenſtrahlen nach,<lb/>
welche uͤber die Daͤcher in die dunkle Wohnung<lb/>ſtreiften, und ſeine Blicke glaubten auf dem gol¬<lb/>
denen Wege, der zu einem ſchmalen Stuͤckchen<lb/>
blauer Luft fuͤhrte, die Geliebte und das verlo¬<lb/>
rene Gluͤck finden zu muͤſſen.</p><lb/><p>Er ſchrieb Alles an den Grafen; aber ehe eine<lb/>
Antwort da ſein konnte, rieb es ihn auf, ſein Leib und<lb/>
Leben brach und er ſtarb in wenigen Tagen. Seine<lb/>
Leiche hielt jenes Zettelchen von Dortchen feſt in<lb/>
der Hand, worauf das Liedchen von der Hoff¬<lb/>
nung geſchrieben war. Er hatte es in der letzten<lb/>
Zeit nicht einen Augenblick aus der Hand gelaſſen,<lb/>
und ſelbſt wenn er einen Teller Suppe, ſeine<lb/>
einzige Speiſe, gegeſſen, das Papierchen eifrig<lb/>
mit dem Loͤffel zuſammen in der Hand gehalten<lb/>
oder es unterdeſſen in die andere Hand geſteckt.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[482/0492]
wolkenreinen Hoͤhe. Er vermochte aber den
lachenden Himmel und das gruͤne Land nicht
laͤnger zu ertragen und wollte zur Stadt zuruͤck,
wo er ſich in dem Sterbegemach der Mutter ver¬
barg. Die Liebe und Sehnſucht zu Dortchen
wachte auf's Neue mit verdoppelter Macht auf,
ſeine Augen drangen den Sonnenſtrahlen nach,
welche uͤber die Daͤcher in die dunkle Wohnung
ſtreiften, und ſeine Blicke glaubten auf dem gol¬
denen Wege, der zu einem ſchmalen Stuͤckchen
blauer Luft fuͤhrte, die Geliebte und das verlo¬
rene Gluͤck finden zu muͤſſen.
Er ſchrieb Alles an den Grafen; aber ehe eine
Antwort da ſein konnte, rieb es ihn auf, ſein Leib und
Leben brach und er ſtarb in wenigen Tagen. Seine
Leiche hielt jenes Zettelchen von Dortchen feſt in
der Hand, worauf das Liedchen von der Hoff¬
nung geſchrieben war. Er hatte es in der letzten
Zeit nicht einen Augenblick aus der Hand gelaſſen,
und ſelbſt wenn er einen Teller Suppe, ſeine
einzige Speiſe, gegeſſen, das Papierchen eifrig
mit dem Loͤffel zuſammen in der Hand gehalten
oder es unterdeſſen in die andere Hand geſteckt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/492>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.