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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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chen Papieren vorgefunden, was ein ordentliches
bürgerlichem Vermögen ausmachte und kein Mensch
hinter dem Alten gesucht hätte. Dieser sonder¬
bare Becher stand jetzt auf dem grünen Tische
des Gerichtszimmers, wurde umgestürzt und der
Inhalt dem Erben vorgezählt. Außerdem hän¬
digte man ihm einen Brief des Verstorbenen ein,
welcher mit kaum leserlicher Schrift auf grobes
Papier geschrieben, folgendermaßen lautete:

"Du hast mich böslich verlassen, mein Söhn¬
chen, und bist nie wieder zu mir gekommen,
doch kenn' ich Dich wohl und vermache Dir
mein Bischen Erspartes, weil ich keine Bluts¬
verwandten habe. Hoffentlich wirst Du dassel¬
bige richtig erhalten; es soll das Löhnchen sein
für die Fahnenstecken, so Du angemalet; denn
dazumal, wie ich Dich bei dieser Arbeit sahe,
habe ich es mir vorgenommen und wünsche ich
somit, daß es nicht zu spät komme, um Dir
einen Beitrag und Anlaß zu geben, wie Du
Dich im Kleinen als einen treulichen Verwal¬
ter gezeigt hast, es auch in beträchtlicheren

chen Papieren vorgefunden, was ein ordentliches
buͤrgerlichem Vermoͤgen ausmachte und kein Menſch
hinter dem Alten geſucht haͤtte. Dieſer ſonder¬
bare Becher ſtand jetzt auf dem gruͤnen Tiſche
des Gerichtszimmers, wurde umgeſtuͤrzt und der
Inhalt dem Erben vorgezaͤhlt. Außerdem haͤn¬
digte man ihm einen Brief des Verſtorbenen ein,
welcher mit kaum leſerlicher Schrift auf grobes
Papier geſchrieben, folgendermaßen lautete:

»Du haſt mich boͤslich verlaſſen, mein Soͤhn¬
chen, und biſt nie wieder zu mir gekommen,
doch kenn' ich Dich wohl und vermache Dir
mein Biſchen Erſpartes, weil ich keine Bluts¬
verwandten habe. Hoffentlich wirſt Du daſſel¬
bige richtig erhalten; es ſoll das Loͤhnchen ſein
fuͤr die Fahnenſtecken, ſo Du angemalet; denn
dazumal, wie ich Dich bei dieſer Arbeit ſahe,
habe ich es mir vorgenommen und wuͤnſche ich
ſomit, daß es nicht zu ſpaͤt komme, um Dir
einen Beitrag und Anlaß zu geben, wie Du
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[443/0453] chen Papieren vorgefunden, was ein ordentliches buͤrgerlichem Vermoͤgen ausmachte und kein Menſch hinter dem Alten geſucht haͤtte. Dieſer ſonder¬ bare Becher ſtand jetzt auf dem gruͤnen Tiſche des Gerichtszimmers, wurde umgeſtuͤrzt und der Inhalt dem Erben vorgezaͤhlt. Außerdem haͤn¬ digte man ihm einen Brief des Verſtorbenen ein, welcher mit kaum leſerlicher Schrift auf grobes Papier geſchrieben, folgendermaßen lautete: »Du haſt mich boͤslich verlaſſen, mein Soͤhn¬ chen, und biſt nie wieder zu mir gekommen, doch kenn' ich Dich wohl und vermache Dir mein Biſchen Erſpartes, weil ich keine Bluts¬ verwandten habe. Hoffentlich wirſt Du daſſel¬ bige richtig erhalten; es ſoll das Loͤhnchen ſein fuͤr die Fahnenſtecken, ſo Du angemalet; denn dazumal, wie ich Dich bei dieſer Arbeit ſahe, habe ich es mir vorgenommen und wuͤnſche ich ſomit, daß es nicht zu ſpaͤt komme, um Dir einen Beitrag und Anlaß zu geben, wie Du Dich im Kleinen als einen treulichen Verwal¬ ter gezeigt haſt, es auch in betraͤchtlicheren

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/453>, abgerufen am 29.11.2024.