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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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und während er sich jedoch vornahm, daß dies
nicht geschehen solle und er sich schon seiner Haut
wehren wolle, sprach er nichts mehr, als immer
den gleichen Seufzer: "O Dortchen, Dortchen --
Dortchen, Dortchen Schönfund! Wenn du wüßtest,
wie mir es ergeht!" und dies so oft, daß eines
schönen Morgens über seinem Kopfe unversehens
eine seltsame Stimme rief: "O Dortchen, Dort¬
chen Schönfund! Wenn du wüßtest, wie mir es
ergeht!" Dies war der Staar, der diese Worte
gemächlich auswendig gelernt und nun jedesmal
damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile ge¬
schwiegen, so daß sie nun unablässig in dem grü¬
nen Busch ertönten. Manchmal, wenn Hein¬
rich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder
schwieg, sang der Staar: "Dortchen:?" worauf
Heinrich antwortete: "Ja, Dortchen ist nicht
Hierchen!" Oder wenn er bloß seufzte: "Wenn
du wüßtest!" so rief der Vogel nach einem Weil¬
chen: "Wie mir es ergeht!"

Es erging ihm aber auch so schlimm, daß er
sich nach Dorotheens Wiederkehr sehnte, bloß um
eine äußerliche Veränderung zu erfahren und sie

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und waͤhrend er ſich jedoch vornahm, daß dies
nicht geſchehen ſolle und er ſich ſchon ſeiner Haut
wehren wolle, ſprach er nichts mehr, als immer
den gleichen Seufzer: »O Dortchen, Dortchen —
Dortchen, Dortchen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt,
wie mir es ergeht!« und dies ſo oft, daß eines
ſchoͤnen Morgens uͤber ſeinem Kopfe unverſehens
eine ſeltſame Stimme rief: »O Dortchen, Dort¬
chen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt, wie mir es
ergeht!« Dies war der Staar, der dieſe Worte
gemaͤchlich auswendig gelernt und nun jedesmal
damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile ge¬
ſchwiegen, ſo daß ſie nun unablaͤſſig in dem gruͤ¬
nen Buſch ertoͤnten. Manchmal, wenn Hein¬
rich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder
ſchwieg, ſang der Staar: »Dortchen:?« worauf
Heinrich antwortete: »Ja, Dortchen iſt nicht
Hierchen!« Oder wenn er bloß ſeufzte: »Wenn
du wuͤßteſt!« ſo rief der Vogel nach einem Weil¬
chen: »Wie mir es ergeht!«

Es erging ihm aber auch ſo ſchlimm, daß er
ſich nach Dorotheens Wiederkehr ſehnte, bloß um
eine aͤußerliche Veraͤnderung zu erfahren und ſie

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[419/0429] und waͤhrend er ſich jedoch vornahm, daß dies nicht geſchehen ſolle und er ſich ſchon ſeiner Haut wehren wolle, ſprach er nichts mehr, als immer den gleichen Seufzer: »O Dortchen, Dortchen — Dortchen, Dortchen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt, wie mir es ergeht!« und dies ſo oft, daß eines ſchoͤnen Morgens uͤber ſeinem Kopfe unverſehens eine ſeltſame Stimme rief: »O Dortchen, Dort¬ chen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt, wie mir es ergeht!« Dies war der Staar, der dieſe Worte gemaͤchlich auswendig gelernt und nun jedesmal damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile ge¬ ſchwiegen, ſo daß ſie nun unablaͤſſig in dem gruͤ¬ nen Buſch ertoͤnten. Manchmal, wenn Hein¬ rich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder ſchwieg, ſang der Staar: »Dortchen:?« worauf Heinrich antwortete: »Ja, Dortchen iſt nicht Hierchen!« Oder wenn er bloß ſeufzte: »Wenn du wuͤßteſt!« ſo rief der Vogel nach einem Weil¬ chen: »Wie mir es ergeht!« Es erging ihm aber auch ſo ſchlimm, daß er ſich nach Dorotheens Wiederkehr ſehnte, bloß um eine aͤußerliche Veraͤnderung zu erfahren und ſie 27 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/429>, abgerufen am 27.11.2024.