und während er sich jedoch vornahm, daß dies nicht geschehen solle und er sich schon seiner Haut wehren wolle, sprach er nichts mehr, als immer den gleichen Seufzer: "O Dortchen, Dortchen -- Dortchen, Dortchen Schönfund! Wenn du wüßtest, wie mir es ergeht!" und dies so oft, daß eines schönen Morgens über seinem Kopfe unversehens eine seltsame Stimme rief: "O Dortchen, Dort¬ chen Schönfund! Wenn du wüßtest, wie mir es ergeht!" Dies war der Staar, der diese Worte gemächlich auswendig gelernt und nun jedesmal damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile ge¬ schwiegen, so daß sie nun unablässig in dem grü¬ nen Busch ertönten. Manchmal, wenn Hein¬ rich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder schwieg, sang der Staar: "Dortchen:?" worauf Heinrich antwortete: "Ja, Dortchen ist nicht Hierchen!" Oder wenn er bloß seufzte: "Wenn du wüßtest!" so rief der Vogel nach einem Weil¬ chen: "Wie mir es ergeht!"
Es erging ihm aber auch so schlimm, daß er sich nach Dorotheens Wiederkehr sehnte, bloß um eine äußerliche Veränderung zu erfahren und sie
27 *
und waͤhrend er ſich jedoch vornahm, daß dies nicht geſchehen ſolle und er ſich ſchon ſeiner Haut wehren wolle, ſprach er nichts mehr, als immer den gleichen Seufzer: »O Dortchen, Dortchen — Dortchen, Dortchen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt, wie mir es ergeht!« und dies ſo oft, daß eines ſchoͤnen Morgens uͤber ſeinem Kopfe unverſehens eine ſeltſame Stimme rief: »O Dortchen, Dort¬ chen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt, wie mir es ergeht!« Dies war der Staar, der dieſe Worte gemaͤchlich auswendig gelernt und nun jedesmal damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile ge¬ ſchwiegen, ſo daß ſie nun unablaͤſſig in dem gruͤ¬ nen Buſch ertoͤnten. Manchmal, wenn Hein¬ rich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder ſchwieg, ſang der Staar: »Dortchen:?« worauf Heinrich antwortete: »Ja, Dortchen iſt nicht Hierchen!« Oder wenn er bloß ſeufzte: »Wenn du wuͤßteſt!« ſo rief der Vogel nach einem Weil¬ chen: »Wie mir es ergeht!«
Es erging ihm aber auch ſo ſchlimm, daß er ſich nach Dorotheens Wiederkehr ſehnte, bloß um eine aͤußerliche Veraͤnderung zu erfahren und ſie
27 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0429"n="419"/>
und waͤhrend er ſich jedoch vornahm, daß dies<lb/>
nicht geſchehen ſolle und er ſich ſchon ſeiner Haut<lb/>
wehren wolle, ſprach er nichts mehr, als immer<lb/>
den gleichen Seufzer: »O Dortchen, Dortchen —<lb/>
Dortchen, Dortchen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt,<lb/>
wie mir es ergeht!« und dies ſo oft, daß eines<lb/>ſchoͤnen Morgens uͤber ſeinem Kopfe unverſehens<lb/>
eine ſeltſame Stimme rief: »O Dortchen, Dort¬<lb/>
chen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt, wie mir es<lb/>
ergeht!« Dies war der Staar, der dieſe Worte<lb/>
gemaͤchlich auswendig gelernt und nun jedesmal<lb/>
damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile ge¬<lb/>ſchwiegen, ſo daß ſie nun unablaͤſſig in dem gruͤ¬<lb/>
nen Buſch ertoͤnten. Manchmal, wenn Hein¬<lb/>
rich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder<lb/>ſchwieg, ſang der Staar: »Dortchen:?« worauf<lb/>
Heinrich antwortete: »Ja, Dortchen iſt nicht<lb/>
Hierchen!« Oder wenn er bloß ſeufzte: »Wenn<lb/>
du wuͤßteſt!« ſo rief der Vogel nach einem Weil¬<lb/>
chen: »Wie mir es ergeht!«</p><lb/><p>Es erging ihm aber auch ſo ſchlimm, daß er<lb/>ſich nach Dorotheens Wiederkehr ſehnte, bloß um<lb/>
eine aͤußerliche Veraͤnderung zu erfahren und ſie<lb/><fwplace="bottom"type="sig">27 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[419/0429]
und waͤhrend er ſich jedoch vornahm, daß dies
nicht geſchehen ſolle und er ſich ſchon ſeiner Haut
wehren wolle, ſprach er nichts mehr, als immer
den gleichen Seufzer: »O Dortchen, Dortchen —
Dortchen, Dortchen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt,
wie mir es ergeht!« und dies ſo oft, daß eines
ſchoͤnen Morgens uͤber ſeinem Kopfe unverſehens
eine ſeltſame Stimme rief: »O Dortchen, Dort¬
chen Schoͤnfund! Wenn du wuͤßteſt, wie mir es
ergeht!« Dies war der Staar, der dieſe Worte
gemaͤchlich auswendig gelernt und nun jedesmal
damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile ge¬
ſchwiegen, ſo daß ſie nun unablaͤſſig in dem gruͤ¬
nen Buſch ertoͤnten. Manchmal, wenn Hein¬
rich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder
ſchwieg, ſang der Staar: »Dortchen:?« worauf
Heinrich antwortete: »Ja, Dortchen iſt nicht
Hierchen!« Oder wenn er bloß ſeufzte: »Wenn
du wuͤßteſt!« ſo rief der Vogel nach einem Weil¬
chen: »Wie mir es ergeht!«
Es erging ihm aber auch ſo ſchlimm, daß er
ſich nach Dorotheens Wiederkehr ſehnte, bloß um
eine aͤußerliche Veraͤnderung zu erfahren und ſie
27 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/429>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.