ewige Gleichheit herrscht zwischen der Brüder¬ schaft der Wollenden! Mühelos und ohne Kum¬ mer theilen sie einige tausend Zeilen in Gesänge und Strophen ab; der wahre Fleiß an sich freut sich seines Daseins, kein schlackenbeschwerter Kön¬ nender stört die Harmonie der Wollenden. Und weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa eine einförmige, langweilige Schaar darstellte, birgt er vielmehr die reizendste Mannigfaltigkeit in sich und kommt auf den verschiedensten Wegen zum Ziele. Hauptsächlich theilt er sich in drei große Heerlager; das eine dieser Heerlager will, das heißt arbeitet, ohne Etwas gelernt zu haben; das zweite wendet mit eiserner Ausdauer das Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte und Begriffene auf sich selber anzuwenden, und alle drei Heerzüge vereinen sich an Einem friedlichen Ziele. Wer kann ermessen, wie nahe die Zeit ist, wo auch die Dichtung die zu schweren Wortzeilen wegwirft, zu jenem Decimalsystem der leichtbe¬ schwingten Striche greift und mit der bildenden Kunst in Einer äußeren Form sich vermählt?
ewige Gleichheit herrſcht zwiſchen der Bruͤder¬ ſchaft der Wollenden! Muͤhelos und ohne Kum¬ mer theilen ſie einige tauſend Zeilen in Geſaͤnge und Strophen ab; der wahre Fleiß an ſich freut ſich ſeines Daſeins, kein ſchlackenbeſchwerter Koͤn¬ nender ſtoͤrt die Harmonie der Wollenden. Und weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa eine einfoͤrmige, langweilige Schaar darſtellte, birgt er vielmehr die reizendſte Mannigfaltigkeit in ſich und kommt auf den verſchiedenſten Wegen zum Ziele. Hauptſaͤchlich theilt er ſich in drei große Heerlager; das eine dieſer Heerlager will, das heißt arbeitet, ohne Etwas gelernt zu haben; das zweite wendet mit eiſerner Ausdauer das Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte und Begriffene auf ſich ſelber anzuwenden, und alle drei Heerzuͤge vereinen ſich an Einem friedlichen Ziele. Wer kann ermeſſen, wie nahe die Zeit iſt, wo auch die Dichtung die zu ſchweren Wortzeilen wegwirft, zu jenem Decimalſyſtem der leichtbe¬ ſchwingten Striche greift und mit der bildenden Kunſt in Einer aͤußeren Form ſich vermaͤhlt?
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0039"n="29"/>
ewige Gleichheit herrſcht zwiſchen der Bruͤder¬<lb/>ſchaft der Wollenden! Muͤhelos und ohne Kum¬<lb/>
mer theilen ſie einige tauſend Zeilen in Geſaͤnge<lb/>
und Strophen ab; der wahre Fleiß an ſich freut<lb/>ſich ſeines Daſeins, kein ſchlackenbeſchwerter Koͤn¬<lb/>
nender ſtoͤrt die Harmonie der Wollenden. Und<lb/>
weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa<lb/>
eine einfoͤrmige, langweilige Schaar darſtellte,<lb/>
birgt er vielmehr die reizendſte Mannigfaltigkeit<lb/>
in ſich und kommt auf den verſchiedenſten Wegen<lb/>
zum Ziele. Hauptſaͤchlich theilt er ſich in drei<lb/>
große Heerlager; das eine dieſer Heerlager will,<lb/>
das heißt arbeitet, ohne Etwas gelernt zu haben;<lb/>
das zweite wendet mit eiſerner Ausdauer das<lb/>
Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte<lb/>
endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte <hirendition="#g">und</hi><lb/>
Begriffene auf ſich ſelber anzuwenden, und alle drei<lb/>
Heerzuͤge vereinen ſich an Einem friedlichen Ziele.<lb/>
Wer kann ermeſſen, wie nahe die Zeit iſt, wo<lb/>
auch die Dichtung die zu ſchweren Wortzeilen<lb/>
wegwirft, zu jenem Decimalſyſtem der leichtbe¬<lb/>ſchwingten Striche greift und mit der bildenden<lb/>
Kunſt in Einer aͤußeren Form ſich vermaͤhlt?<lb/></p></div></body></text></TEI>
[29/0039]
ewige Gleichheit herrſcht zwiſchen der Bruͤder¬
ſchaft der Wollenden! Muͤhelos und ohne Kum¬
mer theilen ſie einige tauſend Zeilen in Geſaͤnge
und Strophen ab; der wahre Fleiß an ſich freut
ſich ſeines Daſeins, kein ſchlackenbeſchwerter Koͤn¬
nender ſtoͤrt die Harmonie der Wollenden. Und
weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa
eine einfoͤrmige, langweilige Schaar darſtellte,
birgt er vielmehr die reizendſte Mannigfaltigkeit
in ſich und kommt auf den verſchiedenſten Wegen
zum Ziele. Hauptſaͤchlich theilt er ſich in drei
große Heerlager; das eine dieſer Heerlager will,
das heißt arbeitet, ohne Etwas gelernt zu haben;
das zweite wendet mit eiſerner Ausdauer das
Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte
endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte und
Begriffene auf ſich ſelber anzuwenden, und alle drei
Heerzuͤge vereinen ſich an Einem friedlichen Ziele.
Wer kann ermeſſen, wie nahe die Zeit iſt, wo
auch die Dichtung die zu ſchweren Wortzeilen
wegwirft, zu jenem Decimalſyſtem der leichtbe¬
ſchwingten Striche greift und mit der bildenden
Kunſt in Einer aͤußeren Form ſich vermaͤhlt?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/39>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.