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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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war vergessen, selbst die warme seidene Halsbinde
nicht. Er wusch sich erst Gesicht und Hände und
kämmte sein wirres Haar; dann kleidete er sich
langsam und bedenklich an, und als er fertig
war, getraute er sich nicht hervorzukommen, son¬
dern setzte sich auf einen Stuhl und stellte aller¬
lei Betrachtungen an. Da fiel sein Blick auf
seine schlechten beschmutzten Kleider, die am Bo¬
den lagen, und er schämte sich, daß er sie nun
da lassen sollte, und wußte nicht was mit ihnen
zu beginnen sei, bis er sie wieder anzöge. "Wahr¬
haftig," sagte er, "ganz wie ich es geträumt!
Nun, zum Teufel, so lange das Leben so alle
Traumgedichte überbietet, wollen wir munter
sein!" Er glaubte sich endlich am besten aus der
Sache zu ziehen, wenn er die armen Kleidchen
ordentlich zusammenlegte. Er legte sie säuber¬
lich auf einen Stuhl in der Ecke, stellte die zer¬
rissenen Stiefelchen ehrbar unter den Stuhl, als
ob es die feinste Fußbekleidung wäre, und machte
sich endlich auf den Weg nach dem Saale.

Dort fand er unversehens den Grafen vor
nebst einem stattlichen katholischen Priester, die

war vergeſſen, ſelbſt die warme ſeidene Halsbinde
nicht. Er wuſch ſich erſt Geſicht und Haͤnde und
kaͤmmte ſein wirres Haar; dann kleidete er ſich
langſam und bedenklich an, und als er fertig
war, getraute er ſich nicht hervorzukommen, ſon¬
dern ſetzte ſich auf einen Stuhl und ſtellte aller¬
lei Betrachtungen an. Da fiel ſein Blick auf
ſeine ſchlechten beſchmutzten Kleider, die am Bo¬
den lagen, und er ſchaͤmte ſich, daß er ſie nun
da laſſen ſollte, und wußte nicht was mit ihnen
zu beginnen ſei, bis er ſie wieder anzoͤge. »Wahr¬
haftig,« ſagte er, »ganz wie ich es getraͤumt!
Nun, zum Teufel, ſo lange das Leben ſo alle
Traumgedichte uͤberbietet, wollen wir munter
ſein!« Er glaubte ſich endlich am beſten aus der
Sache zu ziehen, wenn er die armen Kleidchen
ordentlich zuſammenlegte. Er legte ſie ſaͤuber¬
lich auf einen Stuhl in der Ecke, ſtellte die zer¬
riſſenen Stiefelchen ehrbar unter den Stuhl, als
ob es die feinſte Fußbekleidung waͤre, und machte
ſich endlich auf den Weg nach dem Saale.

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[322/0332] war vergeſſen, ſelbſt die warme ſeidene Halsbinde nicht. Er wuſch ſich erſt Geſicht und Haͤnde und kaͤmmte ſein wirres Haar; dann kleidete er ſich langſam und bedenklich an, und als er fertig war, getraute er ſich nicht hervorzukommen, ſon¬ dern ſetzte ſich auf einen Stuhl und ſtellte aller¬ lei Betrachtungen an. Da fiel ſein Blick auf ſeine ſchlechten beſchmutzten Kleider, die am Bo¬ den lagen, und er ſchaͤmte ſich, daß er ſie nun da laſſen ſollte, und wußte nicht was mit ihnen zu beginnen ſei, bis er ſie wieder anzoͤge. »Wahr¬ haftig,« ſagte er, »ganz wie ich es getraͤumt! Nun, zum Teufel, ſo lange das Leben ſo alle Traumgedichte uͤberbietet, wollen wir munter ſein!« Er glaubte ſich endlich am beſten aus der Sache zu ziehen, wenn er die armen Kleidchen ordentlich zuſammenlegte. Er legte ſie ſaͤuber¬ lich auf einen Stuhl in der Ecke, ſtellte die zer¬ riſſenen Stiefelchen ehrbar unter den Stuhl, als ob es die feinſte Fußbekleidung waͤre, und machte ſich endlich auf den Weg nach dem Saale. Dort fand er unverſehens den Grafen vor nebſt einem ſtattlichen katholiſchen Prieſter, die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/332>, abgerufen am 22.11.2024.