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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Motive, oft sehr zart und anmuthig, tauchten
auf, und wenn die Summe der Aufmerksamkeit,
Zweckmäßigkeit und Beharrlichkeit, welche zu die¬
ser unsinnigen Mosaik erforderlich war, verbunden
mit Heinrich's gesammeltem Talente, auf eine
wirkliche Arbeit verwendet worden wäre, so hätte
er ein Meisterwerk liefern müssen. Nur hier und
da zeigten sich kleinere oder größere Stockungen,
gewissermaßen Verknotungen in diesen Irrgängen
einer zerstreuten, gramseligen Seele, und die sorg¬
same und kluge Art, wie sich die Federspitze aus
der Verlegenheit zu ziehen gesucht, bewies deut¬
lich, daß das träumende Bewußtsein Heinrich's
aus irgend einer Patsche hinauszukommen suchte.

Schon seit vielen Wochen hatte er jeden Tag
zur eigentlichen Arbeit angehoben und war also¬
bald, ohne es zu wissen noch zu wollen, in dun¬
klem Selbstvergessen an die Fortsetzung der kolos¬
salen Kritzelei gerathen, und er arbeitete eben
wieder mit eingeschlummerter Seele, aber großem
Fleiß und Scharfsinn an derselben, als an die
Thür geklopft wurde.

Er erschrak heftig und fuhr zusammen, als

Motive, oft ſehr zart und anmuthig, tauchten
auf, und wenn die Summe der Aufmerkſamkeit,
Zweckmaͤßigkeit und Beharrlichkeit, welche zu die¬
ſer unſinnigen Moſaik erforderlich war, verbunden
mit Heinrich's geſammeltem Talente, auf eine
wirkliche Arbeit verwendet worden waͤre, ſo haͤtte
er ein Meiſterwerk liefern muͤſſen. Nur hier und
da zeigten ſich kleinere oder groͤßere Stockungen,
gewiſſermaßen Verknotungen in dieſen Irrgaͤngen
einer zerſtreuten, gramſeligen Seele, und die ſorg¬
ſame und kluge Art, wie ſich die Federſpitze aus
der Verlegenheit zu ziehen geſucht, bewies deut¬
lich, daß das traͤumende Bewußtſein Heinrich's
aus irgend einer Patſche hinauszukommen ſuchte.

Schon ſeit vielen Wochen hatte er jeden Tag
zur eigentlichen Arbeit angehoben und war alſo¬
bald, ohne es zu wiſſen noch zu wollen, in dun¬
klem Selbſtvergeſſen an die Fortſetzung der koloſ¬
ſalen Kritzelei gerathen, und er arbeitete eben
wieder mit eingeſchlummerter Seele, aber großem
Fleiß und Scharfſinn an derſelben, als an die
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[23/0033] Motive, oft ſehr zart und anmuthig, tauchten auf, und wenn die Summe der Aufmerkſamkeit, Zweckmaͤßigkeit und Beharrlichkeit, welche zu die¬ ſer unſinnigen Moſaik erforderlich war, verbunden mit Heinrich's geſammeltem Talente, auf eine wirkliche Arbeit verwendet worden waͤre, ſo haͤtte er ein Meiſterwerk liefern muͤſſen. Nur hier und da zeigten ſich kleinere oder groͤßere Stockungen, gewiſſermaßen Verknotungen in dieſen Irrgaͤngen einer zerſtreuten, gramſeligen Seele, und die ſorg¬ ſame und kluge Art, wie ſich die Federſpitze aus der Verlegenheit zu ziehen geſucht, bewies deut¬ lich, daß das traͤumende Bewußtſein Heinrich's aus irgend einer Patſche hinauszukommen ſuchte. Schon ſeit vielen Wochen hatte er jeden Tag zur eigentlichen Arbeit angehoben und war alſo¬ bald, ohne es zu wiſſen noch zu wollen, in dun¬ klem Selbſtvergeſſen an die Fortſetzung der koloſ¬ ſalen Kritzelei gerathen, und er arbeitete eben wieder mit eingeſchlummerter Seele, aber großem Fleiß und Scharfſinn an derſelben, als an die Thuͤr geklopft wurde. Er erſchrak heftig und fuhr zuſammen, als

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/33>, abgerufen am 23.11.2024.