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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Herbstmorgenlandschaft hinaus. Waldige und
dunkle Gebirgszüge umgaben den Horizont, durch
das weite Thal schlängelte sich ein röthlicher
Fluß daher, weil der halbe Himmel im Morgen¬
roth flammte und die purpurisch angeglühten
Wolkenschichten über Feldern, Höhen, Dörfern
und kleinen grauen Städten hingen. Nebel rauchte
an den Waldhängen und verzog sich an den
dunkelblauen Bergen; Burgen, hohe Stadtthore
und Kirchthürme glänzten röthlich auf, und über
all' dem stand noch der spät aufgegangene Mond
am Himmel und vermehrte, ohne zu leuchten,
den Reichthum dieser Herbstwelt um sein goldenes
Rund. Längs des Waldrandes, über welchem er
schwebte, entspann sich ein hallender Jagdlärm;
Hörner tönten, Hunde musicirten fern und nah,
Schüsse knallten, und ein schöner Hirsch sprang
an Heinrich vorüber, als er eben den Forst ver¬
ließ. Das Morgenroth und der alte Mond wa¬
ren so ruhig und heimathlich, ihn dünkte, er
müsse und müsse zu Hause sein, während das
fremde Gebirge ihm nur zu deutlich sagte, wie
fern er noch sei, und das Morgenroth überdies

Herbſtmorgenlandſchaft hinaus. Waldige und
dunkle Gebirgszuͤge umgaben den Horizont, durch
das weite Thal ſchlaͤngelte ſich ein roͤthlicher
Fluß daher, weil der halbe Himmel im Morgen¬
roth flammte und die purpuriſch angegluͤhten
Wolkenſchichten uͤber Feldern, Hoͤhen, Doͤrfern
und kleinen grauen Staͤdten hingen. Nebel rauchte
an den Waldhaͤngen und verzog ſich an den
dunkelblauen Bergen; Burgen, hohe Stadtthore
und Kirchthuͤrme glaͤnzten roͤthlich auf, und uͤber
all' dem ſtand noch der ſpaͤt aufgegangene Mond
am Himmel und vermehrte, ohne zu leuchten,
den Reichthum dieſer Herbſtwelt um ſein goldenes
Rund. Laͤngs des Waldrandes, uͤber welchem er
ſchwebte, entſpann ſich ein hallender Jagdlaͤrm;
Hoͤrner toͤnten, Hunde muſicirten fern und nah,
Schuͤſſe knallten, und ein ſchoͤner Hirſch ſprang
an Heinrich voruͤber, als er eben den Forſt ver¬
ließ. Das Morgenroth und der alte Mond wa¬
ren ſo ruhig und heimathlich, ihn duͤnkte, er
muͤſſe und muͤſſe zu Hauſe ſein, waͤhrend das
fremde Gebirge ihm nur zu deutlich ſagte, wie
fern er noch ſei, und das Morgenroth uͤberdies

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[276/0286] Herbſtmorgenlandſchaft hinaus. Waldige und dunkle Gebirgszuͤge umgaben den Horizont, durch das weite Thal ſchlaͤngelte ſich ein roͤthlicher Fluß daher, weil der halbe Himmel im Morgen¬ roth flammte und die purpuriſch angegluͤhten Wolkenſchichten uͤber Feldern, Hoͤhen, Doͤrfern und kleinen grauen Staͤdten hingen. Nebel rauchte an den Waldhaͤngen und verzog ſich an den dunkelblauen Bergen; Burgen, hohe Stadtthore und Kirchthuͤrme glaͤnzten roͤthlich auf, und uͤber all' dem ſtand noch der ſpaͤt aufgegangene Mond am Himmel und vermehrte, ohne zu leuchten, den Reichthum dieſer Herbſtwelt um ſein goldenes Rund. Laͤngs des Waldrandes, uͤber welchem er ſchwebte, entſpann ſich ein hallender Jagdlaͤrm; Hoͤrner toͤnten, Hunde muſicirten fern und nah, Schuͤſſe knallten, und ein ſchoͤner Hirſch ſprang an Heinrich voruͤber, als er eben den Forſt ver¬ ließ. Das Morgenroth und der alte Mond wa¬ ren ſo ruhig und heimathlich, ihn duͤnkte, er muͤſſe und muͤſſe zu Hauſe ſein, waͤhrend das fremde Gebirge ihm nur zu deutlich ſagte, wie fern er noch ſei, und das Morgenroth uͤberdies

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/286>, abgerufen am 30.04.2024.