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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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träumte, hämmerte er in stillem Ingrimm einige
bittere Verse zurecht:

Im Traum sah ich den schlimmen Jugendfeind,
Mit dem ich in der Schule einst gesessen;
Sein Name schon verdunkelt mir den Sinn,
Wie viel der Jahre auch gefloh'n indessen!
Als bärt'ge Männer trafen wir uns nun;
Doch Jeder trug annoch sein Bücherränzchen,
Das warf er ab und rief dem Andern zu.
Die Fäuste ballend: he, willst du ein Tänzchen?
Wir rauften uns, er spie mir in's Gesicht,
Ich unterlag in Schmach und wildem Bangen;
Da bin in Schweiß und Thränen ich erwacht
Und sah die Sonne kalt am Himmel prangen.

Inzwischen erhielt er endlich wieder einen
Brief von seiner Mutter, welche ihn beschwor,
Nachricht von sich zu geben und, wie er sei, nach
Hause zu kehren, auch wenn er gar Nichts erreicht
von allen Hoffnungen und Alles verloren habe.
Sie warf ihm vor, daß er sie zwinge, zuerst das
Schweigen zu brechen, indem sie es nicht mehr
aushalten könne, und erzählte ihm, ihren Kummer
vergessend und des Schreibens froh, allerlei

17 *

traͤumte, haͤmmerte er in ſtillem Ingrimm einige
bittere Verſe zurecht:

Im Traum ſah ich den ſchlimmen Jugendfeind,
Mit dem ich in der Schule einſt geſeſſen;
Sein Name ſchon verdunkelt mir den Sinn,
Wie viel der Jahre auch gefloh'n indeſſen!
Als baͤrt'ge Maͤnner trafen wir uns nun;
Doch Jeder trug annoch ſein Buͤcherraͤnzchen,
Das warf er ab und rief dem Andern zu.
Die Faͤuſte ballend: he, willſt du ein Taͤnzchen?
Wir rauften uns, er ſpie mir in's Geſicht,
Ich unterlag in Schmach und wildem Bangen;
Da bin in Schweiß und Thraͤnen ich erwacht
Und ſah die Sonne kalt am Himmel prangen.

Inzwiſchen erhielt er endlich wieder einen
Brief von ſeiner Mutter, welche ihn beſchwor,
Nachricht von ſich zu geben und, wie er ſei, nach
Hauſe zu kehren, auch wenn er gar Nichts erreicht
von allen Hoffnungen und Alles verloren habe.
Sie warf ihm vor, daß er ſie zwinge, zuerſt das
Schweigen zu brechen, indem ſie es nicht mehr
aushalten koͤnne, und erzaͤhlte ihm, ihren Kummer
vergeſſend und des Schreibens froh, allerlei

17 *
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[265/0275] traͤumte, haͤmmerte er in ſtillem Ingrimm einige bittere Verſe zurecht: Im Traum ſah ich den ſchlimmen Jugendfeind, Mit dem ich in der Schule einſt geſeſſen; Sein Name ſchon verdunkelt mir den Sinn, Wie viel der Jahre auch gefloh'n indeſſen! Als baͤrt'ge Maͤnner trafen wir uns nun; Doch Jeder trug annoch ſein Buͤcherraͤnzchen, Das warf er ab und rief dem Andern zu. Die Faͤuſte ballend: he, willſt du ein Taͤnzchen? Wir rauften uns, er ſpie mir in's Geſicht, Ich unterlag in Schmach und wildem Bangen; Da bin in Schweiß und Thraͤnen ich erwacht Und ſah die Sonne kalt am Himmel prangen. Inzwiſchen erhielt er endlich wieder einen Brief von ſeiner Mutter, welche ihn beſchwor, Nachricht von ſich zu geben und, wie er ſei, nach Hauſe zu kehren, auch wenn er gar Nichts erreicht von allen Hoffnungen und Alles verloren habe. Sie warf ihm vor, daß er ſie zwinge, zuerſt das Schweigen zu brechen, indem ſie es nicht mehr aushalten koͤnne, und erzaͤhlte ihm, ihren Kummer vergeſſend und des Schreibens froh, allerlei 17 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/275>, abgerufen am 30.04.2024.