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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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denn er zehrte Tage lang von der Erinnerung
der schönen Träume. Noch mehr wunderte er
sich über die Gier, mit welcher der Mangel ihn
fortwährend von Geld und Gut und allen guten
Dingen träumen ließ, was aber gewöhnlich ein
schlimmes Ende nahm, und studirte darüber, ob
diese Gier wirklich etwa eine in ihm schlummernde
Untugend sein möchte? Je tiefer er aber in
gänzliche Verlassenheit hineinlebte, desto weniger
mährchenhaft und unsinnig wurden die Träume,
aber sie nahmen eine einfache Schönheit und
Wahrheit an, welche, selbst wenn sie traurigen
Inhaltes war, eine tröstliche Rührung und Ruhe
in Heinrich's Gemüth verbreitete. Die Träume
wurden so folgerichtig und lebendig, daß er sich
so zu sagen sogar während des Traumes jene
unmäßigen Geld- und Gutphantasien abgewöhnen
konnte mit ihren närrischen Täuschungen und sich
auf einfach artige Bilder beschränkte. So träumte
er eine Nacht, daß er an dem Rande des Vater¬
landes auf einem dunklen Berge säße, während
das Land in hellem Scheine vor ihm ausgebreitet
lag. Auf den weißen Straßen, auf den grünen

denn er zehrte Tage lang von der Erinnerung
der ſchoͤnen Traͤume. Noch mehr wunderte er
ſich uͤber die Gier, mit welcher der Mangel ihn
fortwaͤhrend von Geld und Gut und allen guten
Dingen traͤumen ließ, was aber gewoͤhnlich ein
ſchlimmes Ende nahm, und ſtudirte daruͤber, ob
dieſe Gier wirklich etwa eine in ihm ſchlummernde
Untugend ſein moͤchte? Je tiefer er aber in
gaͤnzliche Verlaſſenheit hineinlebte, deſto weniger
maͤhrchenhaft und unſinnig wurden die Traͤume,
aber ſie nahmen eine einfache Schoͤnheit und
Wahrheit an, welche, ſelbſt wenn ſie traurigen
Inhaltes war, eine troͤſtliche Ruͤhrung und Ruhe
in Heinrich's Gemuͤth verbreitete. Die Traͤume
wurden ſo folgerichtig und lebendig, daß er ſich
ſo zu ſagen ſogar waͤhrend des Traumes jene
unmaͤßigen Geld- und Gutphantaſien abgewoͤhnen
konnte mit ihren naͤrriſchen Taͤuſchungen und ſich
auf einfach artige Bilder beſchraͤnkte. So traͤumte
er eine Nacht, daß er an dem Rande des Vater¬
landes auf einem dunklen Berge ſaͤße, waͤhrend
das Land in hellem Scheine vor ihm ausgebreitet
lag. Auf den weißen Straßen, auf den gruͤnen

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[262/0272] denn er zehrte Tage lang von der Erinnerung der ſchoͤnen Traͤume. Noch mehr wunderte er ſich uͤber die Gier, mit welcher der Mangel ihn fortwaͤhrend von Geld und Gut und allen guten Dingen traͤumen ließ, was aber gewoͤhnlich ein ſchlimmes Ende nahm, und ſtudirte daruͤber, ob dieſe Gier wirklich etwa eine in ihm ſchlummernde Untugend ſein moͤchte? Je tiefer er aber in gaͤnzliche Verlaſſenheit hineinlebte, deſto weniger maͤhrchenhaft und unſinnig wurden die Traͤume, aber ſie nahmen eine einfache Schoͤnheit und Wahrheit an, welche, ſelbſt wenn ſie traurigen Inhaltes war, eine troͤſtliche Ruͤhrung und Ruhe in Heinrich's Gemuͤth verbreitete. Die Traͤume wurden ſo folgerichtig und lebendig, daß er ſich ſo zu ſagen ſogar waͤhrend des Traumes jene unmaͤßigen Geld- und Gutphantaſien abgewoͤhnen konnte mit ihren naͤrriſchen Taͤuſchungen und ſich auf einfach artige Bilder beſchraͤnkte. So traͤumte er eine Nacht, daß er an dem Rande des Vater¬ landes auf einem dunklen Berge ſaͤße, waͤhrend das Land in hellem Scheine vor ihm ausgebreitet lag. Auf den weißen Straßen, auf den gruͤnen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/272>, abgerufen am 30.04.2024.