woher sie so unvermuthet wieder kämen, fühlte er sich höchst zufrieden in ihrem Besitze, und obschon er dem weisen Gaule nicht mit gutem Gewissen Recht geben konnte, daß Reichthum Einsicht sei, so war er doch schon insoweit von seiner Behaup¬ tung angesteckt und fand sich doch plötzlich so leid¬ lich einsichtsvoll, daß er wenigstens nichts er¬ wiederte und gemüthlich weiter ritt auf der schö¬ nen Brücke.
"Nun sage mir, Du weiser Salomo!" begann er nach einer Weile wieder, "heißt eigentlich die Brücke oder die Leute so darauf sind: die Iden¬ tität? oder welches von beiden nennst Du so?"
"Beide zusammen sind die Identität!" sagte das Pferd.
"Der Nation?" fragte Heinrich.
"Der Nation, zum Teufel noch einmal, ver¬ steht sich!" sprach der Goldfuchs.
"Gut! aber welches ist denn die Nation, die Brücke oder die Leute, so darüber rennen?" sagte Heinrich.
"Ei seit wann," rief das Pferd, "ist denn eine Brücke eine Nation? Nur Leute können eine
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woher ſie ſo unvermuthet wieder kaͤmen, fuͤhlte er ſich hoͤchſt zufrieden in ihrem Beſitze, und obſchon er dem weiſen Gaule nicht mit gutem Gewiſſen Recht geben konnte, daß Reichthum Einſicht ſei, ſo war er doch ſchon inſoweit von ſeiner Behaup¬ tung angeſteckt und fand ſich doch ploͤtzlich ſo leid¬ lich einſichtsvoll, daß er wenigſtens nichts er¬ wiederte und gemuͤthlich weiter ritt auf der ſchoͤ¬ nen Bruͤcke.
»Nun ſage mir, Du weiſer Salomo!« begann er nach einer Weile wieder, »heißt eigentlich die Bruͤcke oder die Leute ſo darauf ſind: die Iden¬ titaͤt? oder welches von beiden nennſt Du ſo?«
»Beide zuſammen ſind die Identitaͤt!« ſagte das Pferd.
»Der Nation?« fragte Heinrich.
»Der Nation, zum Teufel noch einmal, ver¬ ſteht ſich!« ſprach der Goldfuchs.
»Gut! aber welches iſt denn die Nation, die Bruͤcke oder die Leute, ſo daruͤber rennen?« ſagte Heinrich.
»Ei ſeit wann,« rief das Pferd, »iſt denn eine Bruͤcke eine Nation? Nur Leute koͤnnen eine
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woher ſie ſo unvermuthet wieder kaͤmen, fuͤhlte er
ſich hoͤchſt zufrieden in ihrem Beſitze, und obſchon
er dem weiſen Gaule nicht mit gutem Gewiſſen
Recht geben konnte, daß Reichthum Einſicht ſei,
ſo war er doch ſchon inſoweit von ſeiner Behaup¬
tung angeſteckt und fand ſich doch ploͤtzlich ſo leid¬
lich einſichtsvoll, daß er wenigſtens nichts er¬
wiederte und gemuͤthlich weiter ritt auf der ſchoͤ¬
nen Bruͤcke.
»Nun ſage mir, Du weiſer Salomo!« begann
er nach einer Weile wieder, »heißt eigentlich die
Bruͤcke oder die Leute ſo darauf ſind: die Iden¬
titaͤt? oder welches von beiden nennſt Du ſo?«
»Beide zuſammen ſind die Identitaͤt!« ſagte
das Pferd.
»Der Nation?« fragte Heinrich.
»Der Nation, zum Teufel noch einmal, ver¬
ſteht ſich!« ſprach der Goldfuchs.
»Gut! aber welches iſt denn die Nation, die
Bruͤcke oder die Leute, ſo daruͤber rennen?« ſagte
Heinrich.
»Ei ſeit wann,« rief das Pferd, »iſt denn eine
Bruͤcke eine Nation? Nur Leute koͤnnen eine
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/253>, abgerufen am 25.11.2024.
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