gehört; statt auf die Vorschläge des braven Nach¬ bars zu hören, dessen Anerbieten und jetziges Wesen er vor Jahren kaum geahnt hätte und den er dazumal kaum näher gekannt, sah er fort und fort die seltsamen Bilder seiner Mutter, welche der Landsmann ihm entworfen, und sie prägten sich seinem Sinne in einer goldenen son¬ nigen Verklärung ein, so daß er träumend ihnen nachhing. Als der Landsmann ihn endlich er¬ munterte und, sein Glas füllend, sein Anerbieten und seine Aufforderung wiederholte, lehnte er Alles mit bescheidenem Danke ab und bat, die freundlichen Leutchen möchten seine Mutter tau¬ send Mal grüßen und nur sagen, es ginge ihm ganz ordentlich, er würde gewiß sobald immer thunlich zurückkehren Denn das Anerbieten des Mannes zu ergreifen und in diesem Augenblicke und auf diese Weise nach der Heimath zu gehen, schien ihm ganz gewaltsam und wie aus der Schule gelaufen, ohne seine Tagesaufgabe gelöst zu haben.
Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe und sah sie mit Hunderten von glücklichen Rei¬
gehoͤrt; ſtatt auf die Vorſchlaͤge des braven Nach¬ bars zu hoͤren, deſſen Anerbieten und jetziges Weſen er vor Jahren kaum geahnt haͤtte und den er dazumal kaum naͤher gekannt, ſah er fort und fort die ſeltſamen Bilder ſeiner Mutter, welche der Landsmann ihm entworfen, und ſie praͤgten ſich ſeinem Sinne in einer goldenen ſon¬ nigen Verklaͤrung ein, ſo daß er traͤumend ihnen nachhing. Als der Landsmann ihn endlich er¬ munterte und, ſein Glas fuͤllend, ſein Anerbieten und ſeine Aufforderung wiederholte, lehnte er Alles mit beſcheidenem Danke ab und bat, die freundlichen Leutchen moͤchten ſeine Mutter tau¬ ſend Mal gruͤßen und nur ſagen, es ginge ihm ganz ordentlich, er wuͤrde gewiß ſobald immer thunlich zuruͤckkehren Denn das Anerbieten des Mannes zu ergreifen und in dieſem Augenblicke und auf dieſe Weiſe nach der Heimath zu gehen, ſchien ihm ganz gewaltſam und wie aus der Schule gelaufen, ohne ſeine Tagesaufgabe geloͤſt zu haben.
Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe und ſah ſie mit Hunderten von gluͤcklichen Rei¬
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gehoͤrt; ſtatt auf die Vorſchlaͤge des braven Nach¬
bars zu hoͤren, deſſen Anerbieten und jetziges
Weſen er vor Jahren kaum geahnt haͤtte und
den er dazumal kaum naͤher gekannt, ſah er fort
und fort die ſeltſamen Bilder ſeiner Mutter,
welche der Landsmann ihm entworfen, und ſie
praͤgten ſich ſeinem Sinne in einer goldenen ſon¬
nigen Verklaͤrung ein, ſo daß er traͤumend ihnen
nachhing. Als der Landsmann ihn endlich er¬
munterte und, ſein Glas fuͤllend, ſein Anerbieten
und ſeine Aufforderung wiederholte, lehnte er
Alles mit beſcheidenem Danke ab und bat, die
freundlichen Leutchen moͤchten ſeine Mutter tau¬
ſend Mal gruͤßen und nur ſagen, es ginge ihm
ganz ordentlich, er wuͤrde gewiß ſobald immer
thunlich zuruͤckkehren Denn das Anerbieten des
Mannes zu ergreifen und in dieſem Augenblicke
und auf dieſe Weiſe nach der Heimath zu gehen,
ſchien ihm ganz gewaltſam und wie aus der
Schule gelaufen, ohne ſeine Tagesaufgabe geloͤſt
zu haben.
Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe
und ſah ſie mit Hunderten von gluͤcklichen Rei¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/228>, abgerufen am 22.11.2024.
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