Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

gehört; statt auf die Vorschläge des braven Nach¬
bars zu hören, dessen Anerbieten und jetziges
Wesen er vor Jahren kaum geahnt hätte und
den er dazumal kaum näher gekannt, sah er fort
und fort die seltsamen Bilder seiner Mutter,
welche der Landsmann ihm entworfen, und sie
prägten sich seinem Sinne in einer goldenen son¬
nigen Verklärung ein, so daß er träumend ihnen
nachhing. Als der Landsmann ihn endlich er¬
munterte und, sein Glas füllend, sein Anerbieten
und seine Aufforderung wiederholte, lehnte er
Alles mit bescheidenem Danke ab und bat, die
freundlichen Leutchen möchten seine Mutter tau¬
send Mal grüßen und nur sagen, es ginge ihm
ganz ordentlich, er würde gewiß sobald immer
thunlich zurückkehren Denn das Anerbieten des
Mannes zu ergreifen und in diesem Augenblicke
und auf diese Weise nach der Heimath zu gehen,
schien ihm ganz gewaltsam und wie aus der
Schule gelaufen, ohne seine Tagesaufgabe gelöst
zu haben.

Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe
und sah sie mit Hunderten von glücklichen Rei¬

gehoͤrt; ſtatt auf die Vorſchlaͤge des braven Nach¬
bars zu hoͤren, deſſen Anerbieten und jetziges
Weſen er vor Jahren kaum geahnt haͤtte und
den er dazumal kaum naͤher gekannt, ſah er fort
und fort die ſeltſamen Bilder ſeiner Mutter,
welche der Landsmann ihm entworfen, und ſie
praͤgten ſich ſeinem Sinne in einer goldenen ſon¬
nigen Verklaͤrung ein, ſo daß er traͤumend ihnen
nachhing. Als der Landsmann ihn endlich er¬
munterte und, ſein Glas fuͤllend, ſein Anerbieten
und ſeine Aufforderung wiederholte, lehnte er
Alles mit beſcheidenem Danke ab und bat, die
freundlichen Leutchen moͤchten ſeine Mutter tau¬
ſend Mal gruͤßen und nur ſagen, es ginge ihm
ganz ordentlich, er wuͤrde gewiß ſobald immer
thunlich zuruͤckkehren Denn das Anerbieten des
Mannes zu ergreifen und in dieſem Augenblicke
und auf dieſe Weiſe nach der Heimath zu gehen,
ſchien ihm ganz gewaltſam und wie aus der
Schule gelaufen, ohne ſeine Tagesaufgabe geloͤſt
zu haben.

Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe
und ſah ſie mit Hunderten von gluͤcklichen Rei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="218"/>
geho&#x0364;rt; &#x017F;tatt auf die Vor&#x017F;chla&#x0364;ge des braven Nach¬<lb/>
bars zu ho&#x0364;ren, de&#x017F;&#x017F;en Anerbieten und jetziges<lb/>
We&#x017F;en er vor Jahren kaum geahnt ha&#x0364;tte und<lb/>
den er dazumal kaum na&#x0364;her gekannt, &#x017F;ah er fort<lb/>
und fort die &#x017F;elt&#x017F;amen Bilder &#x017F;einer Mutter,<lb/>
welche der Landsmann ihm entworfen, und &#x017F;ie<lb/>
pra&#x0364;gten &#x017F;ich &#x017F;einem Sinne in einer goldenen &#x017F;on¬<lb/>
nigen Verkla&#x0364;rung ein, &#x017F;o daß er tra&#x0364;umend ihnen<lb/>
nachhing. Als der Landsmann ihn endlich er¬<lb/>
munterte und, &#x017F;ein Glas fu&#x0364;llend, &#x017F;ein Anerbieten<lb/>
und &#x017F;eine Aufforderung wiederholte, lehnte er<lb/>
Alles mit be&#x017F;cheidenem Danke ab und bat, die<lb/>
freundlichen Leutchen mo&#x0364;chten &#x017F;eine Mutter tau¬<lb/>
&#x017F;end Mal gru&#x0364;ßen und nur &#x017F;agen, es ginge ihm<lb/>
ganz ordentlich, er wu&#x0364;rde gewiß &#x017F;obald immer<lb/>
thunlich zuru&#x0364;ckkehren Denn das Anerbieten des<lb/>
Mannes zu ergreifen und in die&#x017F;em Augenblicke<lb/>
und auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e nach der Heimath zu gehen,<lb/>
&#x017F;chien ihm ganz gewalt&#x017F;am und wie aus der<lb/>
Schule gelaufen, ohne &#x017F;eine Tagesaufgabe gelo&#x0364;&#x017F;t<lb/>
zu haben.</p><lb/>
        <p>Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe<lb/>
und &#x017F;ah &#x017F;ie mit Hunderten von glu&#x0364;cklichen Rei¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0228] gehoͤrt; ſtatt auf die Vorſchlaͤge des braven Nach¬ bars zu hoͤren, deſſen Anerbieten und jetziges Weſen er vor Jahren kaum geahnt haͤtte und den er dazumal kaum naͤher gekannt, ſah er fort und fort die ſeltſamen Bilder ſeiner Mutter, welche der Landsmann ihm entworfen, und ſie praͤgten ſich ſeinem Sinne in einer goldenen ſon¬ nigen Verklaͤrung ein, ſo daß er traͤumend ihnen nachhing. Als der Landsmann ihn endlich er¬ munterte und, ſein Glas fuͤllend, ſein Anerbieten und ſeine Aufforderung wiederholte, lehnte er Alles mit beſcheidenem Danke ab und bat, die freundlichen Leutchen moͤchten ſeine Mutter tau¬ ſend Mal gruͤßen und nur ſagen, es ginge ihm ganz ordentlich, er wuͤrde gewiß ſobald immer thunlich zuruͤckkehren Denn das Anerbieten des Mannes zu ergreifen und in dieſem Augenblicke und auf dieſe Weiſe nach der Heimath zu gehen, ſchien ihm ganz gewaltſam und wie aus der Schule gelaufen, ohne ſeine Tagesaufgabe geloͤſt zu haben. Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe und ſah ſie mit Hunderten von gluͤcklichen Rei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/228
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/228>, abgerufen am 22.11.2024.