in Refectorien oder in schön gebohnten, duftenden Pfarrhäusern war dann der Gipfel des vergnüg¬ ten Daseins. -- Aber seit einiger Zeit sehnten sich meine Lippen auch nach einem anderen Tranke, es war mir immer, als möchte ich die unsichtbare Himmelskönigin einmal küssen, und wenn ich die Bilder, die ich von ihr in Silber oder Elfenbein machte, zu küssen mich gewaltsam bekämpfen mußte, bat ich die schöne Gottesfrau schmerzlich, mir aus meiner Noth zu helfen. -- Da habe ich Dich bei dem Feste gesehen, ärmste, schönste Agnes, und sogleich war es mir, als hätte die Jungfrau selbst Deine Gestalt angenommen, mir zur Freude, und meinem Silber, meinem Elfenbein zu Vor¬ bild und Richtschnur; denn was ich bislang an zartem Gebilde in Traum und Wachen vergeblich gesucht und angestrebt, das sah ich nun plötzlich lebendig vor mir! Ich wußte nicht, drängte es mich zuerst, zu Stift und Griffel zu greifen, um Deine kostbare Erscheinung hastig dem edlen Me¬ talle einzugraben: oder, Dich mit dem Schwure zu umschließen, daß ich Dich nun und immerdar mir aneignen und auf Händen tragen wolle, das
in Refectorien oder in ſchoͤn gebohnten, duftenden Pfarrhaͤuſern war dann der Gipfel des vergnuͤg¬ ten Daſeins. — Aber ſeit einiger Zeit ſehnten ſich meine Lippen auch nach einem anderen Tranke, es war mir immer, als moͤchte ich die unſichtbare Himmelskoͤnigin einmal kuͤſſen, und wenn ich die Bilder, die ich von ihr in Silber oder Elfenbein machte, zu kuͤſſen mich gewaltſam bekaͤmpfen mußte, bat ich die ſchoͤne Gottesfrau ſchmerzlich, mir aus meiner Noth zu helfen. — Da habe ich Dich bei dem Feſte geſehen, aͤrmſte, ſchoͤnſte Agnes, und ſogleich war es mir, als haͤtte die Jungfrau ſelbſt Deine Geſtalt angenommen, mir zur Freude, und meinem Silber, meinem Elfenbein zu Vor¬ bild und Richtſchnur; denn was ich bislang an zartem Gebilde in Traum und Wachen vergeblich geſucht und angeſtrebt, das ſah ich nun ploͤtzlich lebendig vor mir! Ich wußte nicht, draͤngte es mich zuerſt, zu Stift und Griffel zu greifen, um Deine koſtbare Erſcheinung haſtig dem edlen Me¬ talle einzugraben: oder, Dich mit dem Schwure zu umſchließen, daß ich Dich nun und immerdar mir aneignen und auf Haͤnden tragen wolle, das
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in Refectorien oder in ſchoͤn gebohnten, duftenden
Pfarrhaͤuſern war dann der Gipfel des vergnuͤg¬
ten Daſeins. — Aber ſeit einiger Zeit ſehnten
ſich meine Lippen auch nach einem anderen Tranke,
es war mir immer, als moͤchte ich die unſichtbare
Himmelskoͤnigin einmal kuͤſſen, und wenn ich die
Bilder, die ich von ihr in Silber oder Elfenbein
machte, zu kuͤſſen mich gewaltſam bekaͤmpfen
mußte, bat ich die ſchoͤne Gottesfrau ſchmerzlich,
mir aus meiner Noth zu helfen. — Da habe ich
Dich bei dem Feſte geſehen, aͤrmſte, ſchoͤnſte Agnes,
und ſogleich war es mir, als haͤtte die Jungfrau
ſelbſt Deine Geſtalt angenommen, mir zur Freude,
und meinem Silber, meinem Elfenbein zu Vor¬
bild und Richtſchnur; denn was ich bislang an
zartem Gebilde in Traum und Wachen vergeblich
geſucht und angeſtrebt, das ſah ich nun ploͤtzlich
lebendig vor mir! Ich wußte nicht, draͤngte es
mich zuerſt, zu Stift und Griffel zu greifen, um
Deine koſtbare Erſcheinung haſtig dem edlen Me¬
talle einzugraben: oder, Dich mit dem Schwure
zu umſchließen, daß ich Dich nun und immerdar
mir aneignen und auf Haͤnden tragen wolle, das
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/20>, abgerufen am 25.11.2024.
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