Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

darum nicht feil, Freundchen, Schweizerchen!
habt euch heute gut gehalten, wie? hä hä hä,
hi hi hi, was ist das für ein Kreuz mit so hoch¬
fahrendem Blute!"

Heinrich sagte kurz und bündig: "Das ver¬
steht Ihr nicht, alter Herr!" "Was, versteh' ich
nicht?" flüsterte der Alte, und der Junge wollte
fortfahren: "Es ist nicht das, was Ihr meint,
etwa Hochmuth oder dergleichen: es ist vielmehr
der bescheidene Wunsch, nicht aller Welt in die
Augen zu fallen und Narrheiten zu treiben auf
offener Straße; denn ein Renommist und ein
Narr ist, wer mit einer Kleinigkeit einem armen
Teufel dienen könnte und ihn das thun lassen,
wozu er geschickt und gewöhnt ist, und statt des¬
sen selber auf Abenteuer ausgeht --"; der unbe¬
lehrbare Alte ließ ihn aber nicht ausreden, son¬
dern zwang ihn, noch einen Fischschwanz aufzu¬
essen, oder vielmehr die Brühe aufzutunken, wel¬
ches die Hauptsache sei, und er ließ ihn nicht
eher los, bis er den Teller, an welchem ein
Stück Rand fehlte, ganz leer gegessen. Erst als

darum nicht feil, Freundchen, Schweizerchen!
habt euch heute gut gehalten, wie? haͤ haͤ haͤ,
hi hi hi, was iſt das fuͤr ein Kreuz mit ſo hoch¬
fahrendem Blute!«

Heinrich ſagte kurz und buͤndig: »Das ver¬
ſteht Ihr nicht, alter Herr!« »Was, verſteh' ich
nicht?« fluͤſterte der Alte, und der Junge wollte
fortfahren: »Es iſt nicht das, was Ihr meint,
etwa Hochmuth oder dergleichen: es iſt vielmehr
der beſcheidene Wunſch, nicht aller Welt in die
Augen zu fallen und Narrheiten zu treiben auf
offener Straße; denn ein Renommiſt und ein
Narr iſt, wer mit einer Kleinigkeit einem armen
Teufel dienen koͤnnte und ihn das thun laſſen,
wozu er geſchickt und gewoͤhnt iſt, und ſtatt deſ¬
ſen ſelber auf Abenteuer ausgeht —«; der unbe¬
lehrbare Alte ließ ihn aber nicht ausreden, ſon¬
dern zwang ihn, noch einen Fiſchſchwanz aufzu¬
eſſen, oder vielmehr die Bruͤhe aufzutunken, wel¬
ches die Hauptſache ſei, und er ließ ihn nicht
eher los, bis er den Teller, an welchem ein
Stuͤck Rand fehlte, ganz leer gegeſſen. Erſt als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0192" n="182"/>
darum nicht feil, Freundchen, Schweizerchen!<lb/>
habt euch heute gut gehalten, wie? ha&#x0364; ha&#x0364; ha&#x0364;,<lb/>
hi hi hi, was i&#x017F;t das fu&#x0364;r ein Kreuz mit &#x017F;o hoch¬<lb/>
fahrendem Blute!«</p><lb/>
        <p>Heinrich &#x017F;agte kurz und bu&#x0364;ndig: »Das ver¬<lb/>
&#x017F;teht Ihr nicht, alter Herr!« »Was, ver&#x017F;teh' ich<lb/>
nicht?« flu&#x0364;&#x017F;terte der Alte, und der Junge wollte<lb/>
fortfahren: »Es i&#x017F;t nicht das, was Ihr meint,<lb/>
etwa Hochmuth oder dergleichen: es i&#x017F;t vielmehr<lb/>
der be&#x017F;cheidene Wun&#x017F;ch, nicht aller Welt in die<lb/>
Augen zu fallen und Narrheiten zu treiben auf<lb/>
offener Straße; denn ein Renommi&#x017F;t und ein<lb/>
Narr i&#x017F;t, wer mit einer Kleinigkeit einem armen<lb/>
Teufel dienen ko&#x0364;nnte und ihn das thun la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wozu er ge&#x017F;chickt und gewo&#x0364;hnt i&#x017F;t, und &#x017F;tatt de&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en &#x017F;elber auf Abenteuer ausgeht &#x2014;«; der unbe¬<lb/>
lehrbare Alte ließ ihn aber nicht ausreden, &#x017F;on¬<lb/>
dern zwang ihn, noch einen Fi&#x017F;ch&#x017F;chwanz aufzu¬<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en, oder vielmehr die Bru&#x0364;he aufzutunken, wel¬<lb/>
ches die Haupt&#x017F;ache &#x017F;ei, und er ließ ihn nicht<lb/>
eher los, bis er den Teller, an welchem ein<lb/>
Stu&#x0364;ck Rand fehlte, ganz leer gege&#x017F;&#x017F;en. Er&#x017F;t als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0192] darum nicht feil, Freundchen, Schweizerchen! habt euch heute gut gehalten, wie? haͤ haͤ haͤ, hi hi hi, was iſt das fuͤr ein Kreuz mit ſo hoch¬ fahrendem Blute!« Heinrich ſagte kurz und buͤndig: »Das ver¬ ſteht Ihr nicht, alter Herr!« »Was, verſteh' ich nicht?« fluͤſterte der Alte, und der Junge wollte fortfahren: »Es iſt nicht das, was Ihr meint, etwa Hochmuth oder dergleichen: es iſt vielmehr der beſcheidene Wunſch, nicht aller Welt in die Augen zu fallen und Narrheiten zu treiben auf offener Straße; denn ein Renommiſt und ein Narr iſt, wer mit einer Kleinigkeit einem armen Teufel dienen koͤnnte und ihn das thun laſſen, wozu er geſchickt und gewoͤhnt iſt, und ſtatt deſ¬ ſen ſelber auf Abenteuer ausgeht —«; der unbe¬ lehrbare Alte ließ ihn aber nicht ausreden, ſon¬ dern zwang ihn, noch einen Fiſchſchwanz aufzu¬ eſſen, oder vielmehr die Bruͤhe aufzutunken, wel¬ ches die Hauptſache ſei, und er ließ ihn nicht eher los, bis er den Teller, an welchem ein Stuͤck Rand fehlte, ganz leer gegeſſen. Erſt als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/192
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/192>, abgerufen am 23.11.2024.