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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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des Menschen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden
zu können, wenn er die letzten zarten Schranken
der Dinge nirgends überwältigt und durchbrochen
hat. Er fühlte diese ganze Seite des Lebens
wohlthuend in sich ruhen und schlummern, und
je früher und stärker seine Phantasie und seine
Neigungen sonst wach gewesen waren, um so
kühler und unbekümmerter lebte er jetzt und glich
einen langen Zeitraum hindurch an wirklicher
Reinheit der Gedanken dem jüngsten und spröde¬
sten der Gesellen. Höchstens spielten die Frauen
als Gegenstand der Betrachtung und Untersuchung
in den Gesprächen eine zierliche Rolle, wobei
sie denn freilich, da die Erfahrung der rüstigen
Meinungskraft nicht gleich kam, meistens nicht
zu gerecht beurtheilt wurden. So war denn auch
sogar dieser Umstand schon in jener Knabenzeit
vorgezeichnet, wo die jungen Zecher und Prahler
zugleich die Mädchenfeinde spielten.

Sollte sich nun vollends jener Abschluß der
Knabenzeit, die Ausstoßung aus der Schule, als
eine solche Verzeichnung erweisen und Heinrich
in der Schule des Lebens unhaltbar werden, so

des Menſchen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden
zu koͤnnen, wenn er die letzten zarten Schranken
der Dinge nirgends uͤberwaͤltigt und durchbrochen
hat. Er fuͤhlte dieſe ganze Seite des Lebens
wohlthuend in ſich ruhen und ſchlummern, und
je fruͤher und ſtaͤrker ſeine Phantaſie und ſeine
Neigungen ſonſt wach geweſen waren, um ſo
kuͤhler und unbekuͤmmerter lebte er jetzt und glich
einen langen Zeitraum hindurch an wirklicher
Reinheit der Gedanken dem juͤngſten und ſproͤde¬
ſten der Geſellen. Hoͤchſtens ſpielten die Frauen
als Gegenſtand der Betrachtung und Unterſuchung
in den Geſpraͤchen eine zierliche Rolle, wobei
ſie denn freilich, da die Erfahrung der ruͤſtigen
Meinungskraft nicht gleich kam, meiſtens nicht
zu gerecht beurtheilt wurden. So war denn auch
ſogar dieſer Umſtand ſchon in jener Knabenzeit
vorgezeichnet, wo die jungen Zecher und Prahler
zugleich die Maͤdchenfeinde ſpielten.

Sollte ſich nun vollends jener Abſchluß der
Knabenzeit, die Ausſtoßung aus der Schule, als
eine ſolche Verzeichnung erweiſen und Heinrich
in der Schule des Lebens unhaltbar werden, ſo

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[149/0159] des Menſchen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden zu koͤnnen, wenn er die letzten zarten Schranken der Dinge nirgends uͤberwaͤltigt und durchbrochen hat. Er fuͤhlte dieſe ganze Seite des Lebens wohlthuend in ſich ruhen und ſchlummern, und je fruͤher und ſtaͤrker ſeine Phantaſie und ſeine Neigungen ſonſt wach geweſen waren, um ſo kuͤhler und unbekuͤmmerter lebte er jetzt und glich einen langen Zeitraum hindurch an wirklicher Reinheit der Gedanken dem juͤngſten und ſproͤde¬ ſten der Geſellen. Hoͤchſtens ſpielten die Frauen als Gegenſtand der Betrachtung und Unterſuchung in den Geſpraͤchen eine zierliche Rolle, wobei ſie denn freilich, da die Erfahrung der ruͤſtigen Meinungskraft nicht gleich kam, meiſtens nicht zu gerecht beurtheilt wurden. So war denn auch ſogar dieſer Umſtand ſchon in jener Knabenzeit vorgezeichnet, wo die jungen Zecher und Prahler zugleich die Maͤdchenfeinde ſpielten. Sollte ſich nun vollends jener Abſchluß der Knabenzeit, die Ausſtoßung aus der Schule, als eine ſolche Verzeichnung erweiſen und Heinrich in der Schule des Lebens unhaltbar werden, ſo

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/159>, abgerufen am 05.12.2024.