des Menschen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden zu können, wenn er die letzten zarten Schranken der Dinge nirgends überwältigt und durchbrochen hat. Er fühlte diese ganze Seite des Lebens wohlthuend in sich ruhen und schlummern, und je früher und stärker seine Phantasie und seine Neigungen sonst wach gewesen waren, um so kühler und unbekümmerter lebte er jetzt und glich einen langen Zeitraum hindurch an wirklicher Reinheit der Gedanken dem jüngsten und spröde¬ sten der Gesellen. Höchstens spielten die Frauen als Gegenstand der Betrachtung und Untersuchung in den Gesprächen eine zierliche Rolle, wobei sie denn freilich, da die Erfahrung der rüstigen Meinungskraft nicht gleich kam, meistens nicht zu gerecht beurtheilt wurden. So war denn auch sogar dieser Umstand schon in jener Knabenzeit vorgezeichnet, wo die jungen Zecher und Prahler zugleich die Mädchenfeinde spielten.
Sollte sich nun vollends jener Abschluß der Knabenzeit, die Ausstoßung aus der Schule, als eine solche Verzeichnung erweisen und Heinrich in der Schule des Lebens unhaltbar werden, so
des Menſchen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden zu koͤnnen, wenn er die letzten zarten Schranken der Dinge nirgends uͤberwaͤltigt und durchbrochen hat. Er fuͤhlte dieſe ganze Seite des Lebens wohlthuend in ſich ruhen und ſchlummern, und je fruͤher und ſtaͤrker ſeine Phantaſie und ſeine Neigungen ſonſt wach geweſen waren, um ſo kuͤhler und unbekuͤmmerter lebte er jetzt und glich einen langen Zeitraum hindurch an wirklicher Reinheit der Gedanken dem juͤngſten und ſproͤde¬ ſten der Geſellen. Hoͤchſtens ſpielten die Frauen als Gegenſtand der Betrachtung und Unterſuchung in den Geſpraͤchen eine zierliche Rolle, wobei ſie denn freilich, da die Erfahrung der ruͤſtigen Meinungskraft nicht gleich kam, meiſtens nicht zu gerecht beurtheilt wurden. So war denn auch ſogar dieſer Umſtand ſchon in jener Knabenzeit vorgezeichnet, wo die jungen Zecher und Prahler zugleich die Maͤdchenfeinde ſpielten.
Sollte ſich nun vollends jener Abſchluß der Knabenzeit, die Ausſtoßung aus der Schule, als eine ſolche Verzeichnung erweiſen und Heinrich in der Schule des Lebens unhaltbar werden, ſo
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0159"n="149"/>
des Menſchen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden<lb/>
zu koͤnnen, wenn er die letzten zarten Schranken<lb/>
der Dinge nirgends uͤberwaͤltigt und durchbrochen<lb/>
hat. Er fuͤhlte dieſe ganze Seite des Lebens<lb/>
wohlthuend in ſich ruhen und ſchlummern, und<lb/>
je fruͤher und ſtaͤrker ſeine Phantaſie und ſeine<lb/>
Neigungen ſonſt wach geweſen waren, um ſo<lb/>
kuͤhler und unbekuͤmmerter lebte er jetzt und glich<lb/>
einen langen Zeitraum hindurch an wirklicher<lb/>
Reinheit der Gedanken dem juͤngſten und ſproͤde¬<lb/>ſten der Geſellen. Hoͤchſtens ſpielten die Frauen<lb/>
als Gegenſtand der Betrachtung und Unterſuchung<lb/>
in den Geſpraͤchen eine zierliche Rolle, wobei<lb/>ſie denn freilich, da die Erfahrung der ruͤſtigen<lb/>
Meinungskraft nicht gleich kam, meiſtens nicht<lb/>
zu gerecht beurtheilt wurden. So war denn auch<lb/>ſogar dieſer Umſtand ſchon in jener Knabenzeit<lb/>
vorgezeichnet, wo die jungen Zecher und Prahler<lb/>
zugleich die Maͤdchenfeinde ſpielten.</p><lb/><p>Sollte ſich nun vollends jener Abſchluß der<lb/>
Knabenzeit, die Ausſtoßung aus der Schule, als<lb/>
eine ſolche Verzeichnung erweiſen und Heinrich<lb/>
in der Schule des Lebens unhaltbar werden, ſo<lb/></p></div></body></text></TEI>
[149/0159]
des Menſchen erfahrend, zu jeder Zeit neu werden
zu koͤnnen, wenn er die letzten zarten Schranken
der Dinge nirgends uͤberwaͤltigt und durchbrochen
hat. Er fuͤhlte dieſe ganze Seite des Lebens
wohlthuend in ſich ruhen und ſchlummern, und
je fruͤher und ſtaͤrker ſeine Phantaſie und ſeine
Neigungen ſonſt wach geweſen waren, um ſo
kuͤhler und unbekuͤmmerter lebte er jetzt und glich
einen langen Zeitraum hindurch an wirklicher
Reinheit der Gedanken dem juͤngſten und ſproͤde¬
ſten der Geſellen. Hoͤchſtens ſpielten die Frauen
als Gegenſtand der Betrachtung und Unterſuchung
in den Geſpraͤchen eine zierliche Rolle, wobei
ſie denn freilich, da die Erfahrung der ruͤſtigen
Meinungskraft nicht gleich kam, meiſtens nicht
zu gerecht beurtheilt wurden. So war denn auch
ſogar dieſer Umſtand ſchon in jener Knabenzeit
vorgezeichnet, wo die jungen Zecher und Prahler
zugleich die Maͤdchenfeinde ſpielten.
Sollte ſich nun vollends jener Abſchluß der
Knabenzeit, die Ausſtoßung aus der Schule, als
eine ſolche Verzeichnung erweiſen und Heinrich
in der Schule des Lebens unhaltbar werden, ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/159>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.