lung erst für den unbefangenen und einfach gear¬ teten Neuling, Kleinen und Werdenden! Weit entfernt, sein wahres Wesen hervorkehren zu dür¬ fen und dieses einfach wirken zu lassen, soll er tausend kleine Künste und Fähigkeiten lügen oder gewaltsam erwerben, welche zu Allem, was er sonst ist, treibt und gelernt hat, sich vollkommen unsinnig und zweckwidrig verhalten. Er soll ler¬ nen, auf den Vortheil zu schießen, wie eine Spinne auf die Mücke, während vielleicht die besondere Natur seines Berufes langsam, gründlich und be¬ schaulich ist; er soll demüthig und kriechend sein, wo er stolz sein möchte, und hinwieder unver¬ schämt und prahlerisch, wo er nur bescheiden sein kann; er muß geizig und zurückhaltend sein mit dem Reifen und Fertigen, das sich wie die Frucht von dem Baume seines Daseins ablösen will, und er muß hinwieder mit blutendem Herzen freigebig sein mit dem Unreifen und Werdenden und es wegwerfen um des Erwerbes willen. Wenn er nimmt, was ihm gebührt, so muß er dafür dan¬ ken, und erst wenn er empfängt, was ihm nicht gebührt, so ist er des Dankes quitt und hat Ehre
lung erſt fuͤr den unbefangenen und einfach gear¬ teten Neuling, Kleinen und Werdenden! Weit entfernt, ſein wahres Weſen hervorkehren zu duͤr¬ fen und dieſes einfach wirken zu laſſen, ſoll er tauſend kleine Kuͤnſte und Faͤhigkeiten luͤgen oder gewaltſam erwerben, welche zu Allem, was er ſonſt iſt, treibt und gelernt hat, ſich vollkommen unſinnig und zweckwidrig verhalten. Er ſoll ler¬ nen, auf den Vortheil zu ſchießen, wie eine Spinne auf die Muͤcke, waͤhrend vielleicht die beſondere Natur ſeines Berufes langſam, gruͤndlich und be¬ ſchaulich iſt; er ſoll demuͤthig und kriechend ſein, wo er ſtolz ſein moͤchte, und hinwieder unver¬ ſchaͤmt und prahleriſch, wo er nur beſcheiden ſein kann; er muß geizig und zuruͤckhaltend ſein mit dem Reifen und Fertigen, das ſich wie die Frucht von dem Baume ſeines Daſeins abloͤſen will, und er muß hinwieder mit blutendem Herzen freigebig ſein mit dem Unreifen und Werdenden und es wegwerfen um des Erwerbes willen. Wenn er nimmt, was ihm gebuͤhrt, ſo muß er dafuͤr dan¬ ken, und erſt wenn er empfaͤngt, was ihm nicht gebuͤhrt, ſo iſt er des Dankes quitt und hat Ehre
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lung erſt fuͤr den unbefangenen und einfach gear¬
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entfernt, ſein wahres Weſen hervorkehren zu duͤr¬
fen und dieſes einfach wirken zu laſſen, ſoll er
tauſend kleine Kuͤnſte und Faͤhigkeiten luͤgen oder
gewaltſam erwerben, welche zu Allem, was er
ſonſt iſt, treibt und gelernt hat, ſich vollkommen
unſinnig und zweckwidrig verhalten. Er ſoll ler¬
nen, auf den Vortheil zu ſchießen, wie eine Spinne
auf die Muͤcke, waͤhrend vielleicht die beſondere
Natur ſeines Berufes langſam, gruͤndlich und be¬
ſchaulich iſt; er ſoll demuͤthig und kriechend ſein,
wo er ſtolz ſein moͤchte, und hinwieder unver¬
ſchaͤmt und prahleriſch, wo er nur beſcheiden ſein
kann; er muß geizig und zuruͤckhaltend ſein mit
dem Reifen und Fertigen, das ſich wie die Frucht
von dem Baume ſeines Daſeins abloͤſen will, und
er muß hinwieder mit blutendem Herzen freigebig
ſein mit dem Unreifen und Werdenden und es
wegwerfen um des Erwerbes willen. Wenn er
nimmt, was ihm gebuͤhrt, ſo muß er dafuͤr dan¬
ken, und erſt wenn er empfaͤngt, was ihm nicht
gebuͤhrt, ſo iſt er des Dankes quitt und hat Ehre
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/133>, abgerufen am 05.12.2024.
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