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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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gelernt, aus der Hand des Wahnsinns empfangen
habe. Dieser Gedanke empörte mich und ich be¬
griff nicht, wie Jemand wahnsinnig sein könne.
Eine gewisse Unbarmherzigkeit erfüllte mich, ich
nahm mir vor, mit Einem klaren Worte die
ganze unsinnige Wolke gewiß zerstreuen zu wollen;
stand ich aber dem Wahnsinne gegenüber, so
mußte ich seine Stärke und Undurchdringlichkeit
sogleich fühlen und froh sein, wenn ich Worte
fand, welche, auf die verirrten Gedanken einge¬
hend, dem Leidenden durch Mittheilung einige
Erleichterung gewähren konnten. Denn daß er
wirklich unglücklich und leidend war und alle
eingebildeten Qualen wirklich fühlte, konnte ich
nicht verkennen. Unter seinen Einbildungen war
eine einzige, welche ihm ein Ersatz für den übri¬
gen Schaden zu sein schien und zugleich so ko¬
misch, daß sie mich zum Gelächter reizte. Er
lebte nämlich der Ueberzeugung, daß er bei allen
hohen diplomatischen Verheirathungen eine Art
Recht der ersten Nacht genösse, theils um einer je¬
den europäischen Verbindung durch seine persönliche
Einwirkung die rechte Weihe zu geben, theils

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gelernt, aus der Hand des Wahnſinns empfangen
habe. Dieſer Gedanke empoͤrte mich und ich be¬
griff nicht, wie Jemand wahnſinnig ſein koͤnne.
Eine gewiſſe Unbarmherzigkeit erfuͤllte mich, ich
nahm mir vor, mit Einem klaren Worte die
ganze unſinnige Wolke gewiß zerſtreuen zu wollen;
ſtand ich aber dem Wahnſinne gegenuͤber, ſo
mußte ich ſeine Staͤrke und Undurchdringlichkeit
ſogleich fuͤhlen und froh ſein, wenn ich Worte
fand, welche, auf die verirrten Gedanken einge¬
hend, dem Leidenden durch Mittheilung einige
Erleichterung gewaͤhren konnten. Denn daß er
wirklich ungluͤcklich und leidend war und alle
eingebildeten Qualen wirklich fuͤhlte, konnte ich
nicht verkennen. Unter ſeinen Einbildungen war
eine einzige, welche ihm ein Erſatz fuͤr den uͤbri¬
gen Schaden zu ſein ſchien und zugleich ſo ko¬
miſch, daß ſie mich zum Gelaͤchter reizte. Er
lebte naͤmlich der Ueberzeugung, daß er bei allen
hohen diplomatiſchen Verheirathungen eine Art
Recht der erſten Nacht genoͤſſe, theils um einer je¬
den europaͤiſchen Verbindung durch ſeine perſoͤnliche
Einwirkung die rechte Weihe zu geben, theils

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[83/0093] gelernt, aus der Hand des Wahnſinns empfangen habe. Dieſer Gedanke empoͤrte mich und ich be¬ griff nicht, wie Jemand wahnſinnig ſein koͤnne. Eine gewiſſe Unbarmherzigkeit erfuͤllte mich, ich nahm mir vor, mit Einem klaren Worte die ganze unſinnige Wolke gewiß zerſtreuen zu wollen; ſtand ich aber dem Wahnſinne gegenuͤber, ſo mußte ich ſeine Staͤrke und Undurchdringlichkeit ſogleich fuͤhlen und froh ſein, wenn ich Worte fand, welche, auf die verirrten Gedanken einge¬ hend, dem Leidenden durch Mittheilung einige Erleichterung gewaͤhren konnten. Denn daß er wirklich ungluͤcklich und leidend war und alle eingebildeten Qualen wirklich fuͤhlte, konnte ich nicht verkennen. Unter ſeinen Einbildungen war eine einzige, welche ihm ein Erſatz fuͤr den uͤbri¬ gen Schaden zu ſein ſchien und zugleich ſo ko¬ miſch, daß ſie mich zum Gelaͤchter reizte. Er lebte naͤmlich der Ueberzeugung, daß er bei allen hohen diplomatiſchen Verheirathungen eine Art Recht der erſten Nacht genoͤſſe, theils um einer je¬ den europaͤiſchen Verbindung durch ſeine perſoͤnliche Einwirkung die rechte Weihe zu geben, theils 6*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/93>, abgerufen am 23.11.2024.