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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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und Redlichkeit Anna's gedachte, als welche doch
auch zu berücksichtigen wären; und nicht so bald
befiel mich diese Vorstellung, so streckte ich mich
anständig aus, kreuzte die Hände zierlich über
der Brust und nahm so eine höchst gewählte und
ideale Stellung ein, um mit Ehren zu bestehen,
wenn Anna's Geisterauge mich etwa unbewußt
erblicken sollte. Allein das Einschlafen brachte
mich bald aus dieser ungewohnten Lage und ich
fand mich am Morgen zu meinem Verdrusse in
der behaglichsten und trivialsten Figur von der
Welt.

Ich raffte mich hastig zusammen, und wie
man des Morgens Gesicht und Hände wäscht, so
wusch ich gewissermaßen Gesicht und Hände mei¬
ner Seele und nahm ein zusammengefaßtes und
sorgfältiges Wesen an, suchte meine Gedanken zu
beherrschen und in jedem Augenblicke klar und
rein zu sein. So erschien ich vor Anna, wo mir
ein solch' gereinigtes und festtägliches Dasein
leicht wurde, indem in ihrer Gegenwart eigent¬
lich kein anderes möglich war. Der Morgen
nahm wieder seinen Verlauf wie gestern, der Ne¬

und Redlichkeit Anna's gedachte, als welche doch
auch zu beruͤckſichtigen waͤren; und nicht ſo bald
befiel mich dieſe Vorſtellung, ſo ſtreckte ich mich
anſtaͤndig aus, kreuzte die Haͤnde zierlich uͤber
der Bruſt und nahm ſo eine hoͤchſt gewaͤhlte und
ideale Stellung ein, um mit Ehren zu beſtehen,
wenn Anna's Geiſterauge mich etwa unbewußt
erblicken ſollte. Allein das Einſchlafen brachte
mich bald aus dieſer ungewohnten Lage und ich
fand mich am Morgen zu meinem Verdruſſe in
der behaglichſten und trivialſten Figur von der
Welt.

Ich raffte mich haſtig zuſammen, und wie
man des Morgens Geſicht und Haͤnde waͤſcht, ſo
wuſch ich gewiſſermaßen Geſicht und Haͤnde mei¬
ner Seele und nahm ein zuſammengefaßtes und
ſorgfaͤltiges Weſen an, ſuchte meine Gedanken zu
beherrſchen und in jedem Augenblicke klar und
rein zu ſein. So erſchien ich vor Anna, wo mir
ein ſolch' gereinigtes und feſttaͤgliches Daſein
leicht wurde, indem in ihrer Gegenwart eigent¬
lich kein anderes moͤglich war. Der Morgen
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[67/0077] und Redlichkeit Anna's gedachte, als welche doch auch zu beruͤckſichtigen waͤren; und nicht ſo bald befiel mich dieſe Vorſtellung, ſo ſtreckte ich mich anſtaͤndig aus, kreuzte die Haͤnde zierlich uͤber der Bruſt und nahm ſo eine hoͤchſt gewaͤhlte und ideale Stellung ein, um mit Ehren zu beſtehen, wenn Anna's Geiſterauge mich etwa unbewußt erblicken ſollte. Allein das Einſchlafen brachte mich bald aus dieſer ungewohnten Lage und ich fand mich am Morgen zu meinem Verdruſſe in der behaglichſten und trivialſten Figur von der Welt. Ich raffte mich haſtig zuſammen, und wie man des Morgens Geſicht und Haͤnde waͤſcht, ſo wuſch ich gewiſſermaßen Geſicht und Haͤnde mei¬ ner Seele und nahm ein zuſammengefaßtes und ſorgfaͤltiges Weſen an, ſuchte meine Gedanken zu beherrſchen und in jedem Augenblicke klar und rein zu ſein. So erſchien ich vor Anna, wo mir ein ſolch' gereinigtes und feſttaͤgliches Daſein leicht wurde, indem in ihrer Gegenwart eigent¬ lich kein anderes moͤglich war. Der Morgen nahm wieder ſeinen Verlauf wie geſtern, der Ne¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/77>, abgerufen am 27.11.2024.