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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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ziemlich munter zu sein, so daß kein großer Un¬
terschied gegen ihr früheres Wesen während des
Tages bemerklich war. Der angenehme Aufent¬
halt in ihrem Hause diente daher nur dazu, mei¬
nen Leichtsinn und meine Sorglosigkeit zu bestär¬
ken und eine Bewegungslust in mir anzufachen,
die mich hinaustrieb. Außerdem mußte ich ja
am Tage meine Verwandten im Dorfe besuchen,
wenn ich den kasuistischen Ausweg, Judith zu
hintergehen, anwenden wollte.

Als ich daher in den dichten Nebel hinaus¬
ging, war ich, noch mehr aufgeweckt durch den
frischen Herbstgeruch, sehr guter Dinge und mußte
lachen über meine seltsame List, zumal das ver¬
borgene Wandeln in der weiß verhüllten Natur
meinen Gang einem Schleichwege noch vollstän¬
dig ähnlich machte. Ich ging über den Berg und
gelangte bald zum Dorfe; doch verfehlte ich hier
des Nebels wegen den rechten Weg und sah mich
bald in ein Netz von schmalen Garten- und Wie¬
senpfaden versetzt, welche bald zu einem entlege¬
nen Hause, bald wieder gänzlich zum Dorfe hin¬
ausführten. Ich konnte nicht vier Schritte vor

ziemlich munter zu ſein, ſo daß kein großer Un¬
terſchied gegen ihr fruͤheres Weſen waͤhrend des
Tages bemerklich war. Der angenehme Aufent¬
halt in ihrem Hauſe diente daher nur dazu, mei¬
nen Leichtſinn und meine Sorgloſigkeit zu beſtaͤr¬
ken und eine Bewegungsluſt in mir anzufachen,
die mich hinaustrieb. Außerdem mußte ich ja
am Tage meine Verwandten im Dorfe beſuchen,
wenn ich den kaſuiſtiſchen Ausweg, Judith zu
hintergehen, anwenden wollte.

Als ich daher in den dichten Nebel hinaus¬
ging, war ich, noch mehr aufgeweckt durch den
friſchen Herbſtgeruch, ſehr guter Dinge und mußte
lachen uͤber meine ſeltſame Liſt, zumal das ver¬
borgene Wandeln in der weiß verhuͤllten Natur
meinen Gang einem Schleichwege noch vollſtaͤn¬
dig aͤhnlich machte. Ich ging uͤber den Berg und
gelangte bald zum Dorfe; doch verfehlte ich hier
des Nebels wegen den rechten Weg und ſah mich
bald in ein Netz von ſchmalen Garten- und Wie¬
ſenpfaden verſetzt, welche bald zu einem entlege¬
nen Hauſe, bald wieder gaͤnzlich zum Dorfe hin¬
ausfuͤhrten. Ich konnte nicht vier Schritte vor

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[59/0069] ziemlich munter zu ſein, ſo daß kein großer Un¬ terſchied gegen ihr fruͤheres Weſen waͤhrend des Tages bemerklich war. Der angenehme Aufent¬ halt in ihrem Hauſe diente daher nur dazu, mei¬ nen Leichtſinn und meine Sorgloſigkeit zu beſtaͤr¬ ken und eine Bewegungsluſt in mir anzufachen, die mich hinaustrieb. Außerdem mußte ich ja am Tage meine Verwandten im Dorfe beſuchen, wenn ich den kaſuiſtiſchen Ausweg, Judith zu hintergehen, anwenden wollte. Als ich daher in den dichten Nebel hinaus¬ ging, war ich, noch mehr aufgeweckt durch den friſchen Herbſtgeruch, ſehr guter Dinge und mußte lachen uͤber meine ſeltſame Liſt, zumal das ver¬ borgene Wandeln in der weiß verhuͤllten Natur meinen Gang einem Schleichwege noch vollſtaͤn¬ dig aͤhnlich machte. Ich ging uͤber den Berg und gelangte bald zum Dorfe; doch verfehlte ich hier des Nebels wegen den rechten Weg und ſah mich bald in ein Netz von ſchmalen Garten- und Wie¬ ſenpfaden verſetzt, welche bald zu einem entlege¬ nen Hauſe, bald wieder gaͤnzlich zum Dorfe hin¬ ausfuͤhrten. Ich konnte nicht vier Schritte vor

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/69>, abgerufen am 05.05.2024.