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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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verzeihen und sich bei kaltem Blute mit dem jun¬
gen Freunde auszugleichen, und gedachte dem
Unbesonnenen als einem Vertreter einer ganzen
Gattung und Lebensrichtung einmal eine Lection
zu geben, oder wenigstens durch den Ernst des
Vorfalles ihm die Augen zu öffnen. Für sich war
er nicht besorgt und es war ihm in seiner jetzigen
Stimmung gleichgültig, was ihn betreffen möchte,
ja er wünschte, daß Heinrich ihn träfe und sein
Blut vergösse, damit er recht empfindlich für
seine leichtsinnige Kränkung bestraft würde.

Dann richtete er seine Gedanken auf Rosalien,
die ihm nun, da sie liebte und verlobt war, noch
schöner und wünschenswerther erschien. Er glaubte
überzeugt zu sein, daß er sie dauernd geliebt hätte
und sah sich die schöne Frau wie ein guter Stern
entschwinden, der nie wiederkehrt.

Heinrich fühlte sich so aufgeregt und munter,
daß er, anstatt nach Hause zu gehen und auszu¬
ruhen, sich bis zum Morgen in verschiedenen
Zechstuben herumtrieb, wo die unermüdlichsten
der Künstler die zweite Nacht ohne Schlaf bei

verzeihen und ſich bei kaltem Blute mit dem jun¬
gen Freunde auszugleichen, und gedachte dem
Unbeſonnenen als einem Vertreter einer ganzen
Gattung und Lebensrichtung einmal eine Lection
zu geben, oder wenigſtens durch den Ernſt des
Vorfalles ihm die Augen zu oͤffnen. Fuͤr ſich war
er nicht beſorgt und es war ihm in ſeiner jetzigen
Stimmung gleichguͤltig, was ihn betreffen moͤchte,
ja er wuͤnſchte, daß Heinrich ihn traͤfe und ſein
Blut vergoͤſſe, damit er recht empfindlich fuͤr
ſeine leichtſinnige Kraͤnkung beſtraft wuͤrde.

Dann richtete er ſeine Gedanken auf Roſalien,
die ihm nun, da ſie liebte und verlobt war, noch
ſchoͤner und wuͤnſchenswerther erſchien. Er glaubte
uͤberzeugt zu ſein, daß er ſie dauernd geliebt haͤtte
und ſah ſich die ſchoͤne Frau wie ein guter Stern
entſchwinden, der nie wiederkehrt.

Heinrich fuͤhlte ſich ſo aufgeregt und munter,
daß er, anſtatt nach Hauſe zu gehen und auszu¬
ruhen, ſich bis zum Morgen in verſchiedenen
Zechſtuben herumtrieb, wo die unermuͤdlichſten
der Kuͤnſtler die zweite Nacht ohne Schlaf bei

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[355/0365] verzeihen und ſich bei kaltem Blute mit dem jun¬ gen Freunde auszugleichen, und gedachte dem Unbeſonnenen als einem Vertreter einer ganzen Gattung und Lebensrichtung einmal eine Lection zu geben, oder wenigſtens durch den Ernſt des Vorfalles ihm die Augen zu oͤffnen. Fuͤr ſich war er nicht beſorgt und es war ihm in ſeiner jetzigen Stimmung gleichguͤltig, was ihn betreffen moͤchte, ja er wuͤnſchte, daß Heinrich ihn traͤfe und ſein Blut vergoͤſſe, damit er recht empfindlich fuͤr ſeine leichtſinnige Kraͤnkung beſtraft wuͤrde. Dann richtete er ſeine Gedanken auf Roſalien, die ihm nun, da ſie liebte und verlobt war, noch ſchoͤner und wuͤnſchenswerther erſchien. Er glaubte uͤberzeugt zu ſein, daß er ſie dauernd geliebt haͤtte und ſah ſich die ſchoͤne Frau wie ein guter Stern entſchwinden, der nie wiederkehrt. Heinrich fuͤhlte ſich ſo aufgeregt und munter, daß er, anſtatt nach Hauſe zu gehen und auszu¬ ruhen, ſich bis zum Morgen in verſchiedenen Zechſtuben herumtrieb, wo die unermuͤdlichſten der Kuͤnſtler die zweite Nacht ohne Schlaf bei

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/365>, abgerufen am 24.11.2024.