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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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viel von solchen Dingen sprach, besonders wenn
sie nach salbungsvoller Prahlerei ausgesehen hät¬
ten, und dann baute die Mutter wohl fest auf
die Hülfe Gottes, aber es würde ihr nicht gefallen
haben, wenn ich mich eines so eclatanten und
theatralischen Falles gerühmt hätte, und als ein
solcher wäre ihr meine Erzählung ohne Zweifel
erschienen, da sie viel zu schlicht und bescheiden
war, um ein solches Einschreiten in solchen An¬
gelegenheiten von Gott zu erwarten. Sie war
froh, wenn er das Brot nicht ausgehen ließ und
für schwere Leiden, für Fälle auf Leben und Tod
seine Hülfe in Bereitschaft hatte. Sie hätte mich
wahrscheinlich ziemlich ironisch zurechtgewiesen;
desto mehr beschäftigte ich mich den Abend hin¬
durch mit dem Vorfalle und muß gestehen, daß
ich dabei doch eine grübelnde Empfindung hatte.
Ich konnte mir die Vorstellung eines langen
Drahtes nicht unterdrücken, an welchem der fremde
Mann auf mein Gebet herbeigezogen sei, wäh¬
rend, gegenüber diesem lächerlichen Bilde, mir ein
Zufall noch weniger munden wollte, da ich mir
das Ausbleiben desselben nun gar nicht mehr den¬

viel von ſolchen Dingen ſprach, beſonders wenn
ſie nach ſalbungsvoller Prahlerei ausgeſehen haͤt¬
ten, und dann baute die Mutter wohl feſt auf
die Huͤlfe Gottes, aber es wuͤrde ihr nicht gefallen
haben, wenn ich mich eines ſo eclatanten und
theatraliſchen Falles geruͤhmt haͤtte, und als ein
ſolcher waͤre ihr meine Erzaͤhlung ohne Zweifel
erſchienen, da ſie viel zu ſchlicht und beſcheiden
war, um ein ſolches Einſchreiten in ſolchen An¬
gelegenheiten von Gott zu erwarten. Sie war
froh, wenn er das Brot nicht ausgehen ließ und
fuͤr ſchwere Leiden, fuͤr Faͤlle auf Leben und Tod
ſeine Huͤlfe in Bereitſchaft hatte. Sie haͤtte mich
wahrſcheinlich ziemlich ironiſch zurechtgewieſen;
deſto mehr beſchaͤftigte ich mich den Abend hin¬
durch mit dem Vorfalle und muß geſtehen, daß
ich dabei doch eine gruͤbelnde Empfindung hatte.
Ich konnte mir die Vorſtellung eines langen
Drahtes nicht unterdruͤcken, an welchem der fremde
Mann auf mein Gebet herbeigezogen ſei, waͤh¬
rend, gegenuͤber dieſem laͤcherlichen Bilde, mir ein
Zufall noch weniger munden wollte, da ich mir
das Ausbleiben deſſelben nun gar nicht mehr den¬

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[22/0032] viel von ſolchen Dingen ſprach, beſonders wenn ſie nach ſalbungsvoller Prahlerei ausgeſehen haͤt¬ ten, und dann baute die Mutter wohl feſt auf die Huͤlfe Gottes, aber es wuͤrde ihr nicht gefallen haben, wenn ich mich eines ſo eclatanten und theatraliſchen Falles geruͤhmt haͤtte, und als ein ſolcher waͤre ihr meine Erzaͤhlung ohne Zweifel erſchienen, da ſie viel zu ſchlicht und beſcheiden war, um ein ſolches Einſchreiten in ſolchen An¬ gelegenheiten von Gott zu erwarten. Sie war froh, wenn er das Brot nicht ausgehen ließ und fuͤr ſchwere Leiden, fuͤr Faͤlle auf Leben und Tod ſeine Huͤlfe in Bereitſchaft hatte. Sie haͤtte mich wahrſcheinlich ziemlich ironiſch zurechtgewieſen; deſto mehr beſchaͤftigte ich mich den Abend hin¬ durch mit dem Vorfalle und muß geſtehen, daß ich dabei doch eine gruͤbelnde Empfindung hatte. Ich konnte mir die Vorſtellung eines langen Drahtes nicht unterdruͤcken, an welchem der fremde Mann auf mein Gebet herbeigezogen ſei, waͤh¬ rend, gegenuͤber dieſem laͤcherlichen Bilde, mir ein Zufall noch weniger munden wollte, da ich mir das Ausbleiben deſſelben nun gar nicht mehr den¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/32>, abgerufen am 29.03.2024.