Denkens, die hundertmal entsteht und hundertmal verschwindet. Ferdinand war aber Einer von denen, welche, in allen anderen Dingen klar und besonnen, in diesem Einen Punkte die Verblen¬ dung und Aufwallung mit schrankenloser und un¬ verhüllter Selbstsucht kund geben. Rosalie lieh seiner beredten Aufmerksamkeit ein williges Ohr und blickte ihn dabei mit großem Wohlwollen an, nur zuweilen einen flüchtigen, aber zufriede¬ nen Blick auf die prachtvoll und mächtig geformte Gestalt Erikson's werfend, wenn er vorüber ging, so daß dieser mit der Wahl seines Kostümes sich ausgesöhnt, wenn er diese Blicke gesehen hätte. Er ließ aber den Unmuth nicht über sich Herr werden, sondern betrug sich gleichmüthig und stolz, und nur wenn sein Blick denjenigen Ro¬ saliens traf, sah er sie mit großen fragenden Au¬ gen an.
Agnes hatte schon lange stumm neben Hein¬ rich gesessen; sie wiegte trauernd, und den Busen von ungestümem Schmerze bewegt, das schwarz gelockte Haupt auf den schmalen Silberschultern, und nur zuweilen schoß sie einen flammenden
Denkens, die hundertmal entſteht und hundertmal verſchwindet. Ferdinand war aber Einer von denen, welche, in allen anderen Dingen klar und beſonnen, in dieſem Einen Punkte die Verblen¬ dung und Aufwallung mit ſchrankenloſer und un¬ verhuͤllter Selbſtſucht kund geben. Roſalie lieh ſeiner beredten Aufmerkſamkeit ein williges Ohr und blickte ihn dabei mit großem Wohlwollen an, nur zuweilen einen fluͤchtigen, aber zufriede¬ nen Blick auf die prachtvoll und maͤchtig geformte Geſtalt Erikſon's werfend, wenn er voruͤber ging, ſo daß dieſer mit der Wahl ſeines Koſtuͤmes ſich ausgeſoͤhnt, wenn er dieſe Blicke geſehen haͤtte. Er ließ aber den Unmuth nicht uͤber ſich Herr werden, ſondern betrug ſich gleichmuͤthig und ſtolz, und nur wenn ſein Blick denjenigen Ro¬ ſaliens traf, ſah er ſie mit großen fragenden Au¬ gen an.
Agnes hatte ſchon lange ſtumm neben Hein¬ rich geſeſſen; ſie wiegte trauernd, und den Buſen von ungeſtuͤmem Schmerze bewegt, das ſchwarz gelockte Haupt auf den ſchmalen Silberſchultern, und nur zuweilen ſchoß ſie einen flammenden
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0300"n="290"/>
Denkens, die hundertmal entſteht und hundertmal<lb/>
verſchwindet. Ferdinand war aber Einer von<lb/>
denen, welche, in allen anderen Dingen klar und<lb/>
beſonnen, in dieſem Einen Punkte die Verblen¬<lb/>
dung und Aufwallung mit ſchrankenloſer und un¬<lb/>
verhuͤllter Selbſtſucht kund geben. Roſalie lieh<lb/>ſeiner beredten Aufmerkſamkeit ein williges Ohr<lb/>
und blickte ihn dabei mit großem Wohlwollen<lb/>
an, nur zuweilen einen fluͤchtigen, aber zufriede¬<lb/>
nen Blick auf die prachtvoll und maͤchtig geformte<lb/>
Geſtalt Erikſon's werfend, wenn er voruͤber ging,<lb/>ſo daß dieſer mit der Wahl ſeines Koſtuͤmes ſich<lb/>
ausgeſoͤhnt, wenn er dieſe Blicke geſehen haͤtte.<lb/>
Er ließ aber den Unmuth nicht uͤber ſich Herr<lb/>
werden, ſondern betrug ſich gleichmuͤthig und<lb/>ſtolz, und nur wenn ſein Blick denjenigen Ro¬<lb/>ſaliens traf, ſah er ſie mit großen fragenden Au¬<lb/>
gen an.</p><lb/><p>Agnes hatte ſchon lange ſtumm neben Hein¬<lb/>
rich geſeſſen; ſie wiegte trauernd, und den Buſen<lb/>
von ungeſtuͤmem Schmerze bewegt, das ſchwarz<lb/>
gelockte Haupt auf den ſchmalen Silberſchultern,<lb/>
und nur zuweilen ſchoß ſie einen flammenden<lb/></p></div></body></text></TEI>
[290/0300]
Denkens, die hundertmal entſteht und hundertmal
verſchwindet. Ferdinand war aber Einer von
denen, welche, in allen anderen Dingen klar und
beſonnen, in dieſem Einen Punkte die Verblen¬
dung und Aufwallung mit ſchrankenloſer und un¬
verhuͤllter Selbſtſucht kund geben. Roſalie lieh
ſeiner beredten Aufmerkſamkeit ein williges Ohr
und blickte ihn dabei mit großem Wohlwollen
an, nur zuweilen einen fluͤchtigen, aber zufriede¬
nen Blick auf die prachtvoll und maͤchtig geformte
Geſtalt Erikſon's werfend, wenn er voruͤber ging,
ſo daß dieſer mit der Wahl ſeines Koſtuͤmes ſich
ausgeſoͤhnt, wenn er dieſe Blicke geſehen haͤtte.
Er ließ aber den Unmuth nicht uͤber ſich Herr
werden, ſondern betrug ſich gleichmuͤthig und
ſtolz, und nur wenn ſein Blick denjenigen Ro¬
ſaliens traf, ſah er ſie mit großen fragenden Au¬
gen an.
Agnes hatte ſchon lange ſtumm neben Hein¬
rich geſeſſen; ſie wiegte trauernd, und den Buſen
von ungeſtuͤmem Schmerze bewegt, das ſchwarz
gelockte Haupt auf den ſchmalen Silberſchultern,
und nur zuweilen ſchoß ſie einen flammenden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/300>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.