Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

vorzog, erzählte ich fleißig und zutraulich meine
bisherigen Künstlerschicksale; denn ich merkte so¬
gleich an der Art, wie der Fremde die Sachen
ansah, daß er es verstand, wo nicht selbst ein
Künstler war. Dies bestätigte sich auch sogleich,
als er mich auf meine Hauptfehler aufmerksam
machte, die Studie, welche ich gerade vor hatte,
mit der Natur verglich und mir an letzterer selbst
das Wesentliche hervorhob und mich es sehen
lehrte. Ich fühlte mich überglücklich und hielt
mich ganz still, wie Jemand, der sich vergnüglich
eine Wohlthat erzeigen läßt, als er einige Laub¬
partien auf meinem Papiere mit ihrem Vorbilde
in der Natur verglich, mir zeigte, wie ich es
ganz anders machen müßte, Schatten und Licht
klar machte und auf dem Rande des Blattes
mit wenigen mühlosen Meisterstrichen das her¬
stellte, was ich vergeblich gesucht hatte. Er blieb
wohl eine halbe Stunde bei mir, dann sagte er:
"Sie haben vorhin den wackern Habersaat ge¬
nannt; wissen Sie, daß ich vor fünfzehn Jahren
auch ein dienstbarer Geist in seinem verwünschten
Kloster war? Ich habe mich aber bei Zeiten aus

vorzog, erzaͤhlte ich fleißig und zutraulich meine
bisherigen Kuͤnſtlerſchickſale; denn ich merkte ſo¬
gleich an der Art, wie der Fremde die Sachen
anſah, daß er es verſtand, wo nicht ſelbſt ein
Kuͤnſtler war. Dies beſtaͤtigte ſich auch ſogleich,
als er mich auf meine Hauptfehler aufmerkſam
machte, die Studie, welche ich gerade vor hatte,
mit der Natur verglich und mir an letzterer ſelbſt
das Weſentliche hervorhob und mich es ſehen
lehrte. Ich fuͤhlte mich uͤbergluͤcklich und hielt
mich ganz ſtill, wie Jemand, der ſich vergnuͤglich
eine Wohlthat erzeigen laͤßt, als er einige Laub¬
partien auf meinem Papiere mit ihrem Vorbilde
in der Natur verglich, mir zeigte, wie ich es
ganz anders machen muͤßte, Schatten und Licht
klar machte und auf dem Rande des Blattes
mit wenigen muͤhloſen Meiſterſtrichen das her¬
ſtellte, was ich vergeblich geſucht hatte. Er blieb
wohl eine halbe Stunde bei mir, dann ſagte er:
»Sie haben vorhin den wackern Haberſaat ge¬
nannt; wiſſen Sie, daß ich vor fuͤnfzehn Jahren
auch ein dienſtbarer Geiſt in ſeinem verwuͤnſchten
Kloſter war? Ich habe mich aber bei Zeiten aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="15"/>
vorzog, erza&#x0364;hlte ich fleißig und zutraulich meine<lb/>
bisherigen Ku&#x0364;n&#x017F;tler&#x017F;chick&#x017F;ale; denn ich merkte &#x017F;<lb/>
gleich an der Art, wie der Fremde die Sachen<lb/>
an&#x017F;ah, daß er es ver&#x017F;tand, wo nicht &#x017F;elb&#x017F;t ein<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler war. Dies be&#x017F;ta&#x0364;tigte &#x017F;ich auch &#x017F;ogleich,<lb/>
als er mich auf meine Hauptfehler aufmerk&#x017F;am<lb/>
machte, die Studie, welche ich gerade vor hatte,<lb/>
mit der Natur verglich und mir an letzterer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das We&#x017F;entliche hervorhob und mich es &#x017F;ehen<lb/>
lehrte. Ich fu&#x0364;hlte mich u&#x0364;berglu&#x0364;cklich und hielt<lb/>
mich ganz &#x017F;till, wie Jemand, der &#x017F;ich vergnu&#x0364;glich<lb/>
eine Wohlthat erzeigen la&#x0364;ßt, als er einige Laub¬<lb/>
partien auf meinem Papiere mit ihrem Vorbilde<lb/>
in der Natur verglich, mir zeigte, wie ich es<lb/>
ganz anders machen mu&#x0364;ßte, Schatten und Licht<lb/>
klar machte und auf dem Rande des Blattes<lb/>
mit wenigen mu&#x0364;hlo&#x017F;en Mei&#x017F;ter&#x017F;trichen das her¬<lb/>
&#x017F;tellte, was ich vergeblich ge&#x017F;ucht hatte. Er blieb<lb/>
wohl eine halbe Stunde bei mir, dann &#x017F;agte er:<lb/>
»Sie haben vorhin den wackern Haber&#x017F;aat ge¬<lb/>
nannt; wi&#x017F;&#x017F;en Sie, daß ich vor fu&#x0364;nfzehn Jahren<lb/>
auch ein dien&#x017F;tbarer Gei&#x017F;t in &#x017F;einem verwu&#x0364;n&#x017F;chten<lb/>
Klo&#x017F;ter war? Ich habe mich aber bei Zeiten aus<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0025] vorzog, erzaͤhlte ich fleißig und zutraulich meine bisherigen Kuͤnſtlerſchickſale; denn ich merkte ſo¬ gleich an der Art, wie der Fremde die Sachen anſah, daß er es verſtand, wo nicht ſelbſt ein Kuͤnſtler war. Dies beſtaͤtigte ſich auch ſogleich, als er mich auf meine Hauptfehler aufmerkſam machte, die Studie, welche ich gerade vor hatte, mit der Natur verglich und mir an letzterer ſelbſt das Weſentliche hervorhob und mich es ſehen lehrte. Ich fuͤhlte mich uͤbergluͤcklich und hielt mich ganz ſtill, wie Jemand, der ſich vergnuͤglich eine Wohlthat erzeigen laͤßt, als er einige Laub¬ partien auf meinem Papiere mit ihrem Vorbilde in der Natur verglich, mir zeigte, wie ich es ganz anders machen muͤßte, Schatten und Licht klar machte und auf dem Rande des Blattes mit wenigen muͤhloſen Meiſterſtrichen das her¬ ſtellte, was ich vergeblich geſucht hatte. Er blieb wohl eine halbe Stunde bei mir, dann ſagte er: »Sie haben vorhin den wackern Haberſaat ge¬ nannt; wiſſen Sie, daß ich vor fuͤnfzehn Jahren auch ein dienſtbarer Geiſt in ſeinem verwuͤnſchten Kloſter war? Ich habe mich aber bei Zeiten aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/25
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/25>, abgerufen am 21.11.2024.