dessen ihre Augen eine reife Sinnenwärme aus¬ strahlten, wenn sie neckend und zärtlich an seinem Halse hing. Er durfte aber alsdann nicht wagen, sie kosend ebenfalls zu umfassen, wie er überhaupt sich leidend verhalten mußte, wenn er sie nicht erzürnen und von sich scheuchen wollte.
Wie Ferdinand in das Haus gekommen, wußte er selber kaum mehr zu sagen; er hatte das seltene Gebilde im Rahmen des alten Fen¬ sters gesehen, und es war ihm nachtwandlerhaft gelungen, sich alsogleich einzuführen und der täg¬ liche Besucher zu werden.
Aber bald mußte er in einen Zwiespalt mit sich selbst gerathen, da das eigenthümliche und räthselhafte Wesen nicht die gewohnte Art zuließ, das Glück bei Frauen zu erhaschen. Diese Er¬ scheinung war zu köstlich, zu selten und zugleich zu kindlich und zu unbefangen, als daß sie durfte zum Gegenstande einer vorübergehenden Neigung gemacht werden, und auch wieder zu eigen und absonderlich unbestimmt, um gleich den Gedanken einer Verbindung für das Leben zu erlauben. Ferdinand sah, daß das Kind ihn liebte, und er
deſſen ihre Augen eine reife Sinnenwaͤrme aus¬ ſtrahlten, wenn ſie neckend und zaͤrtlich an ſeinem Halſe hing. Er durfte aber alsdann nicht wagen, ſie koſend ebenfalls zu umfaſſen, wie er uͤberhaupt ſich leidend verhalten mußte, wenn er ſie nicht erzuͤrnen und von ſich ſcheuchen wollte.
Wie Ferdinand in das Haus gekommen, wußte er ſelber kaum mehr zu ſagen; er hatte das ſeltene Gebilde im Rahmen des alten Fen¬ ſters geſehen, und es war ihm nachtwandlerhaft gelungen, ſich alſogleich einzufuͤhren und der taͤg¬ liche Beſucher zu werden.
Aber bald mußte er in einen Zwieſpalt mit ſich ſelbſt gerathen, da das eigenthuͤmliche und raͤthſelhafte Weſen nicht die gewohnte Art zuließ, das Gluͤck bei Frauen zu erhaſchen. Dieſe Er¬ ſcheinung war zu koͤſtlich, zu ſelten und zugleich zu kindlich und zu unbefangen, als daß ſie durfte zum Gegenſtande einer voruͤbergehenden Neigung gemacht werden, und auch wieder zu eigen und abſonderlich unbeſtimmt, um gleich den Gedanken einer Verbindung fuͤr das Leben zu erlauben. Ferdinand ſah, daß das Kind ihn liebte, und er
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deſſen ihre Augen eine reife Sinnenwaͤrme aus¬
ſtrahlten, wenn ſie neckend und zaͤrtlich an ſeinem
Halſe hing. Er durfte aber alsdann nicht wagen,
ſie koſend ebenfalls zu umfaſſen, wie er uͤberhaupt
ſich leidend verhalten mußte, wenn er ſie nicht
erzuͤrnen und von ſich ſcheuchen wollte.
Wie Ferdinand in das Haus gekommen,
wußte er ſelber kaum mehr zu ſagen; er hatte
das ſeltene Gebilde im Rahmen des alten Fen¬
ſters geſehen, und es war ihm nachtwandlerhaft
gelungen, ſich alſogleich einzufuͤhren und der taͤg¬
liche Beſucher zu werden.
Aber bald mußte er in einen Zwieſpalt mit
ſich ſelbſt gerathen, da das eigenthuͤmliche und
raͤthſelhafte Weſen nicht die gewohnte Art zuließ,
das Gluͤck bei Frauen zu erhaſchen. Dieſe Er¬
ſcheinung war zu koͤſtlich, zu ſelten und zugleich
zu kindlich und zu unbefangen, als daß ſie durfte
zum Gegenſtande einer voruͤbergehenden Neigung
gemacht werden, und auch wieder zu eigen und
abſonderlich unbeſtimmt, um gleich den Gedanken
einer Verbindung fuͤr das Leben zu erlauben.
Ferdinand ſah, daß das Kind ihn liebte, und er
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/231>, abgerufen am 25.11.2024.
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