eigenthümlichen Ausdruck hatten. Sie erinnerten sich, niemals weder in ihrer Heimath noch in fremden Sprachen die in Deutschland so geläu¬ figen Gesellschaftsformeln gehört zu haben: "Das verstehen Sie nicht, mein Herr! Wie können Sie behaupten, da Sie nicht einmal zu wissen scheinen! Das ist nicht wahr!" oder so häufige leise Andeutungen im freundschaftlichen Gespräche, daß man das, was ein Anderer so eben gesagt, für erlogen halte, -- welches wieder auf einen anderen noch tieferen Uebelstand schließen ließ. Auch die allgemeine deutsche Autoritätssucht, welche so wunderlich mit der unendlichen Nach¬ giebigkeit und Unterwürfigkeit contrastirte, machte einen peinlichen Eindruck auf die Deutschen vom Gränzsaume des großen Volkes; Einer donnerte, die Vortheile seiner Stellung benutzend, den An¬ dern an, und wer Niemand mehr um sich hatte, den er anfahren, dem er imponiren konnte, der prügelte seinen Hund. Recht eigentlich weh aber that den Freunden die gegenseitige Verachtung, welche sich die Süd- und Norddeutschen bei jeder Gelegenheit angedeihen ließen, und welche ihnen
eigenthuͤmlichen Ausdruck hatten. Sie erinnerten ſich, niemals weder in ihrer Heimath noch in fremden Sprachen die in Deutſchland ſo gelaͤu¬ figen Geſellſchaftsformeln gehoͤrt zu haben: »Das verſtehen Sie nicht, mein Herr! Wie koͤnnen Sie behaupten, da Sie nicht einmal zu wiſſen ſcheinen! Das iſt nicht wahr!« oder ſo haͤufige leiſe Andeutungen im freundſchaftlichen Geſpraͤche, daß man das, was ein Anderer ſo eben geſagt, fuͤr erlogen halte, — welches wieder auf einen anderen noch tieferen Uebelſtand ſchließen ließ. Auch die allgemeine deutſche Autoritaͤtsſucht, welche ſo wunderlich mit der unendlichen Nach¬ giebigkeit und Unterwuͤrfigkeit contraſtirte, machte einen peinlichen Eindruck auf die Deutſchen vom Graͤnzſaume des großen Volkes; Einer donnerte, die Vortheile ſeiner Stellung benutzend, den An¬ dern an, und wer Niemand mehr um ſich hatte, den er anfahren, dem er imponiren konnte, der pruͤgelte ſeinen Hund. Recht eigentlich weh aber that den Freunden die gegenſeitige Verachtung, welche ſich die Suͤd- und Norddeutſchen bei jeder Gelegenheit angedeihen ließen, und welche ihnen
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[207/0217]
eigenthuͤmlichen Ausdruck hatten. Sie erinnerten
ſich, niemals weder in ihrer Heimath noch in
fremden Sprachen die in Deutſchland ſo gelaͤu¬
figen Geſellſchaftsformeln gehoͤrt zu haben: »Das
verſtehen Sie nicht, mein Herr! Wie koͤnnen
Sie behaupten, da Sie nicht einmal zu wiſſen
ſcheinen! Das iſt nicht wahr!« oder ſo haͤufige
leiſe Andeutungen im freundſchaftlichen Geſpraͤche,
daß man das, was ein Anderer ſo eben geſagt,
fuͤr erlogen halte, — welches wieder auf einen
anderen noch tieferen Uebelſtand ſchließen ließ.
Auch die allgemeine deutſche Autoritaͤtsſucht,
welche ſo wunderlich mit der unendlichen Nach¬
giebigkeit und Unterwuͤrfigkeit contraſtirte, machte
einen peinlichen Eindruck auf die Deutſchen vom
Graͤnzſaume des großen Volkes; Einer donnerte,
die Vortheile ſeiner Stellung benutzend, den An¬
dern an, und wer Niemand mehr um ſich hatte,
den er anfahren, dem er imponiren konnte, der
pruͤgelte ſeinen Hund. Recht eigentlich weh aber
that den Freunden die gegenſeitige Verachtung,
welche ſich die Suͤd- und Norddeutſchen bei jeder
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/217>, abgerufen am 24.11.2024.
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