am seltsamsten und merkwürdigsten, wo sie mit Bildung und Sinnigkeit verwebt sind.
Weil Heinrich auf eine unberechtigte und will¬ kürliche Weise an Gott glaubte, so machte er un¬ ter anderem auch allegorische Landschaften und geistreiche, magere Bäume; denn wo der wunder¬ thätige Spiritualismus im Blute steckt, da muß er trotz Aufklärung und Protestation irgendwo heraustreten. Der Spiritualismus ist diejenige Arbeitsscheu, welche aus Mangel an Einsicht und Gleichgewicht der Erfahrungen und Ueber¬ zeugungen hervorgeht und den Fleiß des wirk¬ lichen Lebens durch Wunderthätigkeit ersetzen, aus Steinen Brot machen will, anstatt zu ackern, zu säen, das Wachsthum der Aehren abzuwarten, zu schneiden, dreschen, malen und zu backen. Das Herausspinnen einer fingirten, künstlichen, allegorischen Welt aus der Erfindungskraft, mit Umgehung der guten Natur, ist eben nichts an¬ deres als jene Arbeitsscheu; und wenn Roman¬ tiker und Allegoristen aller Art den ganzen Tag schreiben, dichten, malen und operiren, so ist dies alles nur Trägheit gegenüber derjenigen Thätig¬
am ſeltſamſten und merkwuͤrdigſten, wo ſie mit Bildung und Sinnigkeit verwebt ſind.
Weil Heinrich auf eine unberechtigte und will¬ kuͤrliche Weiſe an Gott glaubte, ſo machte er un¬ ter anderem auch allegoriſche Landſchaften und geiſtreiche, magere Baͤume; denn wo der wunder¬ thaͤtige Spiritualismus im Blute ſteckt, da muß er trotz Aufklaͤrung und Proteſtation irgendwo heraustreten. Der Spiritualismus iſt diejenige Arbeitsſcheu, welche aus Mangel an Einſicht und Gleichgewicht der Erfahrungen und Ueber¬ zeugungen hervorgeht und den Fleiß des wirk¬ lichen Lebens durch Wunderthaͤtigkeit erſetzen, aus Steinen Brot machen will, anſtatt zu ackern, zu ſaͤen, das Wachsthum der Aehren abzuwarten, zu ſchneiden, dreſchen, malen und zu backen. Das Herausſpinnen einer fingirten, kuͤnſtlichen, allegoriſchen Welt aus der Erfindungskraft, mit Umgehung der guten Natur, iſt eben nichts an¬ deres als jene Arbeitsſcheu; und wenn Roman¬ tiker und Allegoriſten aller Art den ganzen Tag ſchreiben, dichten, malen und operiren, ſo iſt dies alles nur Traͤgheit gegenuͤber derjenigen Thaͤtig¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0209"n="199"/>
am ſeltſamſten und merkwuͤrdigſten, wo ſie mit<lb/>
Bildung und Sinnigkeit verwebt ſind.</p><lb/><p>Weil Heinrich auf eine unberechtigte und will¬<lb/>
kuͤrliche Weiſe an Gott glaubte, ſo machte er un¬<lb/>
ter anderem auch allegoriſche Landſchaften und<lb/>
geiſtreiche, magere Baͤume; denn wo der wunder¬<lb/>
thaͤtige Spiritualismus im Blute ſteckt, da muß<lb/>
er trotz Aufklaͤrung und Proteſtation irgendwo<lb/>
heraustreten. Der Spiritualismus iſt diejenige<lb/>
Arbeitsſcheu, welche aus Mangel an Einſicht<lb/>
und Gleichgewicht der Erfahrungen und Ueber¬<lb/>
zeugungen hervorgeht und den Fleiß des wirk¬<lb/>
lichen Lebens durch Wunderthaͤtigkeit erſetzen, aus<lb/>
Steinen Brot machen will, anſtatt zu ackern, zu<lb/>ſaͤen, das Wachsthum der Aehren abzuwarten,<lb/>
zu ſchneiden, dreſchen, malen und zu backen.<lb/>
Das Herausſpinnen einer fingirten, kuͤnſtlichen,<lb/>
allegoriſchen Welt aus der Erfindungskraft, mit<lb/>
Umgehung der guten Natur, iſt eben nichts an¬<lb/>
deres als jene Arbeitsſcheu; und wenn Roman¬<lb/>
tiker und Allegoriſten aller Art den ganzen Tag<lb/>ſchreiben, dichten, malen und operiren, ſo iſt dies<lb/>
alles nur Traͤgheit gegenuͤber derjenigen Thaͤtig¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0209]
am ſeltſamſten und merkwuͤrdigſten, wo ſie mit
Bildung und Sinnigkeit verwebt ſind.
Weil Heinrich auf eine unberechtigte und will¬
kuͤrliche Weiſe an Gott glaubte, ſo machte er un¬
ter anderem auch allegoriſche Landſchaften und
geiſtreiche, magere Baͤume; denn wo der wunder¬
thaͤtige Spiritualismus im Blute ſteckt, da muß
er trotz Aufklaͤrung und Proteſtation irgendwo
heraustreten. Der Spiritualismus iſt diejenige
Arbeitsſcheu, welche aus Mangel an Einſicht
und Gleichgewicht der Erfahrungen und Ueber¬
zeugungen hervorgeht und den Fleiß des wirk¬
lichen Lebens durch Wunderthaͤtigkeit erſetzen, aus
Steinen Brot machen will, anſtatt zu ackern, zu
ſaͤen, das Wachsthum der Aehren abzuwarten,
zu ſchneiden, dreſchen, malen und zu backen.
Das Herausſpinnen einer fingirten, kuͤnſtlichen,
allegoriſchen Welt aus der Erfindungskraft, mit
Umgehung der guten Natur, iſt eben nichts an¬
deres als jene Arbeitsſcheu; und wenn Roman¬
tiker und Allegoriſten aller Art den ganzen Tag
ſchreiben, dichten, malen und operiren, ſo iſt dies
alles nur Traͤgheit gegenuͤber derjenigen Thaͤtig¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/209>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.