Tod und noch mehr darüber, daß dies arme todte Mädchen meine Geliebte war. Ich versank in tiefes Nachdenken darüber, ohne Schrecken oder heftigen Schmerz zu empfinden, obgleich ich das Ereigniß mit meinen Gedanken nach allen Seiten durch¬ fühlte. Nicht einmal die Erinnerung an Judith verursachte mir Unruhe. Nachdem der Schulmei¬ ster einige Anordnungen getroffen, wurde ich end¬ lich aus meiner Verborgenheit hervorgezogen, in¬ dem er mich aufforderte, nunmehr mit ihm zu¬ rückzugehen und einige Zeit bei ihm zu wohnen. Wir machten uns auf den Weg, indessen die übrigen Verwandten, besonders die noch im Hause lebende Tochter und die junge Müllerin, versprachen, sogleich nachzukommen.
Auf dem Wege faßte der Schulmeister sein Leid zusammen und gab ihm durch die nochmalige Schilderung der letzten Nacht und des Sterbens, das gegen Morgen eintraf, Worte. Ich hörte Alles aufmerksam und schweigend an; die Nacht war beängstigend und leidenvoll gewesen, der Tod selbst aber fast unmerklich und sanft.
Meine Mutter und die alte Katherine hatten
Tod und noch mehr daruͤber, daß dies arme todte Maͤdchen meine Geliebte war. Ich verſank in tiefes Nachdenken daruͤber, ohne Schrecken oder heftigen Schmerz zu empfinden, obgleich ich das Ereigniß mit meinen Gedanken nach allen Seiten durch¬ fuͤhlte. Nicht einmal die Erinnerung an Judith verurſachte mir Unruhe. Nachdem der Schulmei¬ ſter einige Anordnungen getroffen, wurde ich end¬ lich aus meiner Verborgenheit hervorgezogen, in¬ dem er mich aufforderte, nunmehr mit ihm zu¬ ruͤckzugehen und einige Zeit bei ihm zu wohnen. Wir machten uns auf den Weg, indeſſen die uͤbrigen Verwandten, beſonders die noch im Hauſe lebende Tochter und die junge Muͤllerin, verſprachen, ſogleich nachzukommen.
Auf dem Wege faßte der Schulmeiſter ſein Leid zuſammen und gab ihm durch die nochmalige Schilderung der letzten Nacht und des Sterbens, das gegen Morgen eintraf, Worte. Ich hoͤrte Alles aufmerkſam und ſchweigend an; die Nacht war beaͤngſtigend und leidenvoll geweſen, der Tod ſelbſt aber faſt unmerklich und ſanft.
Meine Mutter und die alte Katherine hatten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0150"n="140"/>
Tod und noch mehr daruͤber, daß dies arme todte<lb/>
Maͤdchen meine Geliebte war. Ich verſank in tiefes<lb/>
Nachdenken daruͤber, ohne Schrecken oder heftigen<lb/>
Schmerz zu empfinden, obgleich ich das Ereigniß<lb/>
mit meinen Gedanken nach allen Seiten durch¬<lb/>
fuͤhlte. Nicht einmal die Erinnerung an Judith<lb/>
verurſachte mir Unruhe. Nachdem der Schulmei¬<lb/>ſter einige Anordnungen getroffen, wurde ich end¬<lb/>
lich aus meiner Verborgenheit hervorgezogen, in¬<lb/>
dem er mich aufforderte, nunmehr mit ihm zu¬<lb/>
ruͤckzugehen und einige Zeit bei ihm zu wohnen.<lb/>
Wir machten uns auf den Weg, indeſſen die<lb/>
uͤbrigen Verwandten, beſonders die noch im<lb/>
Hauſe lebende Tochter und die junge Muͤllerin,<lb/>
verſprachen, ſogleich nachzukommen.</p><lb/><p>Auf dem Wege faßte der Schulmeiſter ſein<lb/>
Leid zuſammen und gab ihm durch die nochmalige<lb/>
Schilderung der letzten Nacht und des Sterbens,<lb/>
das gegen Morgen eintraf, Worte. Ich hoͤrte<lb/>
Alles aufmerkſam und ſchweigend an; die Nacht<lb/>
war beaͤngſtigend und leidenvoll geweſen, der<lb/>
Tod ſelbſt aber faſt unmerklich und ſanft.</p><lb/><p>Meine Mutter und die alte Katherine hatten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[140/0150]
Tod und noch mehr daruͤber, daß dies arme todte
Maͤdchen meine Geliebte war. Ich verſank in tiefes
Nachdenken daruͤber, ohne Schrecken oder heftigen
Schmerz zu empfinden, obgleich ich das Ereigniß
mit meinen Gedanken nach allen Seiten durch¬
fuͤhlte. Nicht einmal die Erinnerung an Judith
verurſachte mir Unruhe. Nachdem der Schulmei¬
ſter einige Anordnungen getroffen, wurde ich end¬
lich aus meiner Verborgenheit hervorgezogen, in¬
dem er mich aufforderte, nunmehr mit ihm zu¬
ruͤckzugehen und einige Zeit bei ihm zu wohnen.
Wir machten uns auf den Weg, indeſſen die
uͤbrigen Verwandten, beſonders die noch im
Hauſe lebende Tochter und die junge Muͤllerin,
verſprachen, ſogleich nachzukommen.
Auf dem Wege faßte der Schulmeiſter ſein
Leid zuſammen und gab ihm durch die nochmalige
Schilderung der letzten Nacht und des Sterbens,
das gegen Morgen eintraf, Worte. Ich hoͤrte
Alles aufmerkſam und ſchweigend an; die Nacht
war beaͤngſtigend und leidenvoll geweſen, der
Tod ſelbſt aber faſt unmerklich und ſanft.
Meine Mutter und die alte Katherine hatten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/150>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.