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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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daß die glänzende Pfeifenreihe zu Tage trat und
das Innere der beiden Flügelthürchen das ge¬
malte Paradies zeigte mit Adam und Eva,
Blumen und Thieren. Er setzte sich davor, wir
mußten uns in einen Kreis um ihn herumstellen,
Anna theilte einige alte Musikbücher aus, und
nachdem ihr Vater gar anmuthig präludirt, san¬
gen wir zu seinem Spiele und Vorsang einige
schöne kirchliche Sommerlieder und hernach einen
künstlichen Kanon. Wir sangen in heiterer Freude
und aus voller Brust und doch mit Maß und
Haltung, die Dankbarkeit gegen den Augenblick
brachte bessere Musik hervor, als die strengste
Schulprobe, und ich selbst ließ mein inneres
Glück unbefangen und frei in den Gesang strö¬
men; denn dieser Tag war für mich wieder
neuer und schöner, als alle früheren. Wenn wir
einen Vers geendigt hatten, erklang über den
See her, von einer Wand im Walde, ein har¬
monisch verhallendes Echo, die Orgeltöne und
Menschenstimmen verschmelzend zu einem neuen
wunderbaren Tone, und zitterte eben aus, indem
wir selbst den Gesang wieder anhoben. An ver¬

daß die glaͤnzende Pfeifenreihe zu Tage trat und
das Innere der beiden Fluͤgelthuͤrchen das ge¬
malte Paradies zeigte mit Adam und Eva,
Blumen und Thieren. Er ſetzte ſich davor, wir
mußten uns in einen Kreis um ihn herumſtellen,
Anna theilte einige alte Muſikbuͤcher aus, und
nachdem ihr Vater gar anmuthig praͤludirt, ſan¬
gen wir zu ſeinem Spiele und Vorſang einige
ſchoͤne kirchliche Sommerlieder und hernach einen
kuͤnſtlichen Kanon. Wir ſangen in heiterer Freude
und aus voller Bruſt und doch mit Maß und
Haltung, die Dankbarkeit gegen den Augenblick
brachte beſſere Muſik hervor, als die ſtrengſte
Schulprobe, und ich ſelbſt ließ mein inneres
Gluͤck unbefangen und frei in den Geſang ſtroͤ¬
men; denn dieſer Tag war fuͤr mich wieder
neuer und ſchoͤner, als alle fruͤheren. Wenn wir
einen Vers geendigt hatten, erklang uͤber den
See her, von einer Wand im Walde, ein har¬
moniſch verhallendes Echo, die Orgeltoͤne und
Menſchenſtimmen verſchmelzend zu einem neuen
wunderbaren Tone, und zitterte eben aus, indem
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[75/0085] daß die glaͤnzende Pfeifenreihe zu Tage trat und das Innere der beiden Fluͤgelthuͤrchen das ge¬ malte Paradies zeigte mit Adam und Eva, Blumen und Thieren. Er ſetzte ſich davor, wir mußten uns in einen Kreis um ihn herumſtellen, Anna theilte einige alte Muſikbuͤcher aus, und nachdem ihr Vater gar anmuthig praͤludirt, ſan¬ gen wir zu ſeinem Spiele und Vorſang einige ſchoͤne kirchliche Sommerlieder und hernach einen kuͤnſtlichen Kanon. Wir ſangen in heiterer Freude und aus voller Bruſt und doch mit Maß und Haltung, die Dankbarkeit gegen den Augenblick brachte beſſere Muſik hervor, als die ſtrengſte Schulprobe, und ich ſelbſt ließ mein inneres Gluͤck unbefangen und frei in den Geſang ſtroͤ¬ men; denn dieſer Tag war fuͤr mich wieder neuer und ſchoͤner, als alle fruͤheren. Wenn wir einen Vers geendigt hatten, erklang uͤber den See her, von einer Wand im Walde, ein har¬ moniſch verhallendes Echo, die Orgeltoͤne und Menſchenſtimmen verſchmelzend zu einem neuen wunderbaren Tone, und zitterte eben aus, indem wir ſelbſt den Geſang wieder anhoben. An ver¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/85>, abgerufen am 06.05.2024.