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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Leitung Gottes höchst lebendig und dünkte mich
glücklich, mich unter dem besonderen Schutze
Gottes in meinen Neigungen zu wissen; es ging
mir ein heller Stern auf und ich sagte unum¬
wunden: "Ja, ich möchte ein Maler werden!"

Bei dieser Antwort stutzte mein neuer Freund
fast noch mehr, als bei dem früheren Geständnisse,
weil er in seiner Abgeschiedenheit von allem Ver¬
kehre der Kultur am wenigsten an dies Wort
gedacht hatte. Doch besann er sich ebenfalls
schnell und sprach:

"Ein Maler? Ei sieh, das ist seltsam! Doch
lasset sehen! Es hat allerdings eine Zeit gegeben,
wo es Maler gegeben hat, welche von göttlichem
Geiste erfüllt waren, welche den dürstenden Völ¬
kern einen Trunk himmlischen Lebens reichten in
Ermangelung des lebendigen Wortes, das wir
jetzt haben. Allein so wie schon dazumal diese
Kunst nur zu bald ein eitler Flitterkram der hoch¬
müthigen Kirche geworden, so scheint sie mir
heutzutage vollends ohne inneren Kern und ein
bloßes Gebaren der menschlichen Eitelkeit und
Fratzenhaftigkeit zu sein. Ich habe zwar durch¬

Leitung Gottes hoͤchſt lebendig und duͤnkte mich
gluͤcklich, mich unter dem beſonderen Schutze
Gottes in meinen Neigungen zu wiſſen; es ging
mir ein heller Stern auf und ich ſagte unum¬
wunden: »Ja, ich moͤchte ein Maler werden!«

Bei dieſer Antwort ſtutzte mein neuer Freund
faſt noch mehr, als bei dem fruͤheren Geſtaͤndniſſe,
weil er in ſeiner Abgeſchiedenheit von allem Ver¬
kehre der Kultur am wenigſten an dies Wort
gedacht hatte. Doch beſann er ſich ebenfalls
ſchnell und ſprach:

»Ein Maler? Ei ſieh, das iſt ſeltſam! Doch
laſſet ſehen! Es hat allerdings eine Zeit gegeben,
wo es Maler gegeben hat, welche von goͤttlichem
Geiſte erfuͤllt waren, welche den duͤrſtenden Voͤl¬
kern einen Trunk himmliſchen Lebens reichten in
Ermangelung des lebendigen Wortes, das wir
jetzt haben. Allein ſo wie ſchon dazumal dieſe
Kunſt nur zu bald ein eitler Flitterkram der hoch¬
muͤthigen Kirche geworden, ſo ſcheint ſie mir
heutzutage vollends ohne inneren Kern und ein
bloßes Gebaren der menſchlichen Eitelkeit und
Fratzenhaftigkeit zu ſein. Ich habe zwar durch¬

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[67/0077] Leitung Gottes hoͤchſt lebendig und duͤnkte mich gluͤcklich, mich unter dem beſonderen Schutze Gottes in meinen Neigungen zu wiſſen; es ging mir ein heller Stern auf und ich ſagte unum¬ wunden: »Ja, ich moͤchte ein Maler werden!« Bei dieſer Antwort ſtutzte mein neuer Freund faſt noch mehr, als bei dem fruͤheren Geſtaͤndniſſe, weil er in ſeiner Abgeſchiedenheit von allem Ver¬ kehre der Kultur am wenigſten an dies Wort gedacht hatte. Doch beſann er ſich ebenfalls ſchnell und ſprach: »Ein Maler? Ei ſieh, das iſt ſeltſam! Doch laſſet ſehen! Es hat allerdings eine Zeit gegeben, wo es Maler gegeben hat, welche von goͤttlichem Geiſte erfuͤllt waren, welche den duͤrſtenden Voͤl¬ kern einen Trunk himmliſchen Lebens reichten in Ermangelung des lebendigen Wortes, das wir jetzt haben. Allein ſo wie ſchon dazumal dieſe Kunſt nur zu bald ein eitler Flitterkram der hoch¬ muͤthigen Kirche geworden, ſo ſcheint ſie mir heutzutage vollends ohne inneren Kern und ein bloßes Gebaren der menſchlichen Eitelkeit und Fratzenhaftigkeit zu ſein. Ich habe zwar durch¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/77>, abgerufen am 24.11.2024.