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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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antwortete kleinlaut und eine Thräne im Auge,
ich wäre es selbst.

Ganz erstaunt trat er einen Schritt zurück
und betrachtete mich mit großen Augen; er war
verlegen, einen angehenden Teufel in so harm¬
loser Gestalt so nahe vor sich zu sehen. Doch
hatte ich ihn schon zu sehr für mich eingenom¬
men, als daß diese Verlegenheit zu lange an¬
dauern konnte, und mein eigenes Benehmen
mochte ihn belehren, daß er mit seiner vorher
ausgesprochenen milden Ansicht nicht das Un¬
rechte getroffen.

"Ich habe mir es doch gleich gedacht," ver¬
setzte er, "daß die Sache ein Häklein habe; denn
ich sehe und will es gern glauben, daß der Vet¬
termann ein junger Mensch ist, mit dem sich ein
vernünftiges Wort reden läßt! Doch erzählt mir
nun den Verlauf dieser schlimmen Geschichte recht
getreulich, es nimmt mich sehr Wunder, wie sich
darin die Schuld und das Unrecht vertheilen!"

Nachdem ich dem freundlichen Schulmeister
den ganzen Hergang aufrichtig und weitläufig,
zuletzt etwas leidenschaftlich berichtet, da ich zum

antwortete kleinlaut und eine Thraͤne im Auge,
ich waͤre es ſelbſt.

Ganz erſtaunt trat er einen Schritt zuruͤck
und betrachtete mich mit großen Augen; er war
verlegen, einen angehenden Teufel in ſo harm¬
loſer Geſtalt ſo nahe vor ſich zu ſehen. Doch
hatte ich ihn ſchon zu ſehr fuͤr mich eingenom¬
men, als daß dieſe Verlegenheit zu lange an¬
dauern konnte, und mein eigenes Benehmen
mochte ihn belehren, daß er mit ſeiner vorher
ausgeſprochenen milden Anſicht nicht das Un¬
rechte getroffen.

»Ich habe mir es doch gleich gedacht,« ver¬
ſetzte er, »daß die Sache ein Haͤklein habe; denn
ich ſehe und will es gern glauben, daß der Vet¬
termann ein junger Menſch iſt, mit dem ſich ein
vernuͤnftiges Wort reden laͤßt! Doch erzaͤhlt mir
nun den Verlauf dieſer ſchlimmen Geſchichte recht
getreulich, es nimmt mich ſehr Wunder, wie ſich
darin die Schuld und das Unrecht vertheilen!«

Nachdem ich dem freundlichen Schulmeiſter
den ganzen Hergang aufrichtig und weitlaͤufig,
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[64/0074] antwortete kleinlaut und eine Thraͤne im Auge, ich waͤre es ſelbſt. Ganz erſtaunt trat er einen Schritt zuruͤck und betrachtete mich mit großen Augen; er war verlegen, einen angehenden Teufel in ſo harm¬ loſer Geſtalt ſo nahe vor ſich zu ſehen. Doch hatte ich ihn ſchon zu ſehr fuͤr mich eingenom¬ men, als daß dieſe Verlegenheit zu lange an¬ dauern konnte, und mein eigenes Benehmen mochte ihn belehren, daß er mit ſeiner vorher ausgeſprochenen milden Anſicht nicht das Un¬ rechte getroffen. »Ich habe mir es doch gleich gedacht,« ver¬ ſetzte er, »daß die Sache ein Haͤklein habe; denn ich ſehe und will es gern glauben, daß der Vet¬ termann ein junger Menſch iſt, mit dem ſich ein vernuͤnftiges Wort reden laͤßt! Doch erzaͤhlt mir nun den Verlauf dieſer ſchlimmen Geſchichte recht getreulich, es nimmt mich ſehr Wunder, wie ſich darin die Schuld und das Unrecht vertheilen!« Nachdem ich dem freundlichen Schulmeiſter den ganzen Hergang aufrichtig und weitlaͤufig, zuletzt etwas leidenſchaftlich berichtet, da ich zum

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/74>, abgerufen am 06.05.2024.