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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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versehen hatte. Die abgefallenen Stücke dieser
Zierrath gingen unter der Dorfjugend als gang¬
bare Münze und wogen beim Spiele sechs Horn¬
oder Bleiknöpfe auf. Daher mochte es kommen,
daß die Jacken des jüngsten Sohnes, welcher
noch in lebhaftem Verkehre mit den Knopfkapi¬
talisten stand, äußerlich immer dieser Zierde be¬
raubt waren und sie dagegen im Innern ihrer
Taschen verbargen, daß sogar den Kleidungs¬
stücken der älteren Brüder mehr Knöpfe abgin¬
gen, als nach der Haltbarkeit des derben Zwir¬
nes jenes Jackendichters zu berechnen war. Ich
selber trug zu meinem grünen Soldatenrock mit
rothen Schnürchen weiße Beinkleider, keine Weste
über dem burschikosen Hemde, hingegen das rothe
Seidentuch der Großmutter malerisch umgeschlun¬
gen, und überdies hing die goldene Uhr meines
Vaters, die ich ererbt, aber nie recht in Ordnung
zu halten verstand, an einem tüchtigen blauen
Bande mit gestickten Blumen, das ich den
Schachteln meiner Mutter entnommen hatte. Von
der Mütze hatte ich längst den philisteriösen Schirm
abgetrennt, daß sie die Stirn frei ließ, und ich

verſehen hatte. Die abgefallenen Stuͤcke dieſer
Zierrath gingen unter der Dorfjugend als gang¬
bare Muͤnze und wogen beim Spiele ſechs Horn¬
oder Bleiknoͤpfe auf. Daher mochte es kommen,
daß die Jacken des juͤngſten Sohnes, welcher
noch in lebhaftem Verkehre mit den Knopfkapi¬
taliſten ſtand, aͤußerlich immer dieſer Zierde be¬
raubt waren und ſie dagegen im Innern ihrer
Taſchen verbargen, daß ſogar den Kleidungs¬
ſtuͤcken der aͤlteren Bruͤder mehr Knoͤpfe abgin¬
gen, als nach der Haltbarkeit des derben Zwir¬
nes jenes Jackendichters zu berechnen war. Ich
ſelber trug zu meinem gruͤnen Soldatenrock mit
rothen Schnuͤrchen weiße Beinkleider, keine Weſte
uͤber dem burſchikoſen Hemde, hingegen das rothe
Seidentuch der Großmutter maleriſch umgeſchlun¬
gen, und uͤberdies hing die goldene Uhr meines
Vaters, die ich ererbt, aber nie recht in Ordnung
zu halten verſtand, an einem tuͤchtigen blauen
Bande mit geſtickten Blumen, das ich den
Schachteln meiner Mutter entnommen hatte. Von
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[56/0066] verſehen hatte. Die abgefallenen Stuͤcke dieſer Zierrath gingen unter der Dorfjugend als gang¬ bare Muͤnze und wogen beim Spiele ſechs Horn¬ oder Bleiknoͤpfe auf. Daher mochte es kommen, daß die Jacken des juͤngſten Sohnes, welcher noch in lebhaftem Verkehre mit den Knopfkapi¬ taliſten ſtand, aͤußerlich immer dieſer Zierde be¬ raubt waren und ſie dagegen im Innern ihrer Taſchen verbargen, daß ſogar den Kleidungs¬ ſtuͤcken der aͤlteren Bruͤder mehr Knoͤpfe abgin¬ gen, als nach der Haltbarkeit des derben Zwir¬ nes jenes Jackendichters zu berechnen war. Ich ſelber trug zu meinem gruͤnen Soldatenrock mit rothen Schnuͤrchen weiße Beinkleider, keine Weſte uͤber dem burſchikoſen Hemde, hingegen das rothe Seidentuch der Großmutter maleriſch umgeſchlun¬ gen, und uͤberdies hing die goldene Uhr meines Vaters, die ich ererbt, aber nie recht in Ordnung zu halten verſtand, an einem tuͤchtigen blauen Bande mit geſtickten Blumen, das ich den Schachteln meiner Mutter entnommen hatte. Von der Muͤtze hatte ich laͤngſt den philiſterioͤſen Schirm abgetrennt, daß ſie die Stirn frei ließ, und ich

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/66>, abgerufen am 21.11.2024.