daß ich dich gleich fressen möchte, wenn du so studirst, in's Blaue hinaus!" und sie drückte mich enger an sich, während ich sagte: "Warum denn?"-- "Ich weiß selbst nicht recht; aber es ist so lang¬ weilig unter den Leuten, daß man oft froh ist, wenn man an etwas Anderes denken kann; ich möchte dies auch gern, aber ich weiß nicht viel und denke immer das Gleiche, obschon mir etwas Unbekanntes im Kopfe herumgeht; wenn ich dich nun so staunen sehe, so ist es mir, als ob du gerade an das denkst, woran ich auch gern sin¬ nen möchte, ich meine immer, es müßte Einem so wohl sein, wenn man mit deinen geheimen Gedanken so in die Weite spazieren könnte! O, es muß Einem da so still und klug, so traurig und glückselig zu Muthe sein!" So etwas hatte ich noch niemals zu hören bekommen; obgleich ich wohl einsah, daß die Judith sich allzusehr zu meinen Gunsten täuschte, was meine inneren Ge¬ danken betraf, und ich tief beschämt erröthete, daß ich glaubte, die Röthe meiner brennenden Wange müsse ihre weiße Schulter anglühen, an welcher sie lag: so sog ich doch Wort für Wort
daß ich dich gleich freſſen moͤchte, wenn du ſo ſtudirſt, in's Blaue hinaus!« und ſie druͤckte mich enger an ſich, waͤhrend ich ſagte: »Warum denn?«— »Ich weiß ſelbſt nicht recht; aber es iſt ſo lang¬ weilig unter den Leuten, daß man oft froh iſt, wenn man an etwas Anderes denken kann; ich moͤchte dies auch gern, aber ich weiß nicht viel und denke immer das Gleiche, obſchon mir etwas Unbekanntes im Kopfe herumgeht; wenn ich dich nun ſo ſtaunen ſehe, ſo iſt es mir, als ob du gerade an das denkſt, woran ich auch gern ſin¬ nen moͤchte, ich meine immer, es muͤßte Einem ſo wohl ſein, wenn man mit deinen geheimen Gedanken ſo in die Weite ſpazieren koͤnnte! O, es muß Einem da ſo ſtill und klug, ſo traurig und gluͤckſelig zu Muthe ſein!« So etwas hatte ich noch niemals zu hoͤren bekommen; obgleich ich wohl einſah, daß die Judith ſich allzuſehr zu meinen Gunſten taͤuſchte, was meine inneren Ge¬ danken betraf, und ich tief beſchaͤmt erroͤthete, daß ich glaubte, die Roͤthe meiner brennenden Wange muͤſſe ihre weiße Schulter angluͤhen, an welcher ſie lag: ſo ſog ich doch Wort fuͤr Wort
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0454"n="444"/>
daß ich dich gleich freſſen moͤchte, wenn du ſo<lb/>ſtudirſt, in's Blaue hinaus!« und ſie druͤckte mich<lb/>
enger an ſich, waͤhrend ich ſagte: »Warum denn?«—<lb/>
»Ich weiß ſelbſt nicht recht; aber es iſt ſo lang¬<lb/>
weilig unter den Leuten, daß man oft froh iſt,<lb/>
wenn man an etwas Anderes denken kann; ich<lb/>
moͤchte dies auch gern, aber ich weiß nicht viel<lb/>
und denke immer das Gleiche, obſchon mir etwas<lb/>
Unbekanntes im Kopfe herumgeht; wenn ich dich<lb/>
nun ſo ſtaunen ſehe, ſo iſt es mir, als ob du<lb/>
gerade an das denkſt, woran ich auch gern ſin¬<lb/>
nen moͤchte, ich meine immer, es muͤßte Einem<lb/>ſo wohl ſein, wenn man mit deinen geheimen<lb/>
Gedanken ſo in die Weite ſpazieren koͤnnte! O,<lb/>
es muß Einem da ſo ſtill und klug, ſo traurig<lb/>
und gluͤckſelig zu Muthe ſein!« So etwas hatte<lb/>
ich noch niemals zu hoͤren bekommen; obgleich<lb/>
ich wohl einſah, daß die Judith ſich allzuſehr zu<lb/>
meinen Gunſten taͤuſchte, was meine inneren Ge¬<lb/>
danken betraf, und ich tief beſchaͤmt erroͤthete,<lb/>
daß ich glaubte, die Roͤthe meiner brennenden<lb/>
Wange muͤſſe ihre weiße Schulter angluͤhen, an<lb/>
welcher ſie lag: ſo ſog ich doch Wort fuͤr Wort<lb/></p></div></body></text></TEI>
[444/0454]
daß ich dich gleich freſſen moͤchte, wenn du ſo
ſtudirſt, in's Blaue hinaus!« und ſie druͤckte mich
enger an ſich, waͤhrend ich ſagte: »Warum denn?«—
»Ich weiß ſelbſt nicht recht; aber es iſt ſo lang¬
weilig unter den Leuten, daß man oft froh iſt,
wenn man an etwas Anderes denken kann; ich
moͤchte dies auch gern, aber ich weiß nicht viel
und denke immer das Gleiche, obſchon mir etwas
Unbekanntes im Kopfe herumgeht; wenn ich dich
nun ſo ſtaunen ſehe, ſo iſt es mir, als ob du
gerade an das denkſt, woran ich auch gern ſin¬
nen moͤchte, ich meine immer, es muͤßte Einem
ſo wohl ſein, wenn man mit deinen geheimen
Gedanken ſo in die Weite ſpazieren koͤnnte! O,
es muß Einem da ſo ſtill und klug, ſo traurig
und gluͤckſelig zu Muthe ſein!« So etwas hatte
ich noch niemals zu hoͤren bekommen; obgleich
ich wohl einſah, daß die Judith ſich allzuſehr zu
meinen Gunſten taͤuſchte, was meine inneren Ge¬
danken betraf, und ich tief beſchaͤmt erroͤthete,
daß ich glaubte, die Roͤthe meiner brennenden
Wange muͤſſe ihre weiße Schulter angluͤhen, an
welcher ſie lag: ſo ſog ich doch Wort fuͤr Wort
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/454>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.