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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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und suchte darauf zu blasen, gab sie dann mir
und bat mich, einen Tanz aufzuspielen. Als ich dies
that, faßte sie ihre Sonntagsschürze und tanzte
ein Mal zierlich durch die Stube herum, wir ka¬
men aus dem Lachen nicht heraus und waren
Alle höchst zufrieden. Sie sagte, seit ihrer Hoch¬
zeit habe sie nicht mehr getanzt, es sei doch der
schönste Tag ihres Lebens wenn schon der Hoch¬
zeiter ein Lumpenhund gewesen; und am Ende
müsse sie dankbar bekennen, daß der liebe Gott
es immer gut mit ihr gemeint und für ihr
Brot gesorgt, auch ihr noch jederzeit eine fröh¬
liche Stunde gegönnt habe; so hätte sie noch
gestern nicht gedacht, daß sie einen so vergnügten
Weihnachtstag erleben würde. Dadurch wurden
die beiden Frauen veranlaßt, ernsthaftere und zu¬
friedene Betrachtungen anzustellen, indessen ich
Gelegenheit hatte, einen Blick in das Leben einer
Wittwe zu werfen, welche aus ihrem Sohne ei¬
nen Mann machen möchte und hierzu nichts thun
kann, als demselben Strümpfe zu stricken. Auch
mußte ich gestehen, daß meine Lebensverhält¬
nisse, welche mir oft arm und verlassen schienen,

und ſuchte darauf zu blaſen, gab ſie dann mir
und bat mich, einen Tanz aufzuſpielen. Als ich dies
that, faßte ſie ihre Sonntagsſchuͤrze und tanzte
ein Mal zierlich durch die Stube herum, wir ka¬
men aus dem Lachen nicht heraus und waren
Alle hoͤchſt zufrieden. Sie ſagte, ſeit ihrer Hoch¬
zeit habe ſie nicht mehr getanzt, es ſei doch der
ſchoͤnſte Tag ihres Lebens wenn ſchon der Hoch¬
zeiter ein Lumpenhund geweſen; und am Ende
muͤſſe ſie dankbar bekennen, daß der liebe Gott
es immer gut mit ihr gemeint und fuͤr ihr
Brot geſorgt, auch ihr noch jederzeit eine froͤh¬
liche Stunde gegoͤnnt habe; ſo haͤtte ſie noch
geſtern nicht gedacht, daß ſie einen ſo vergnuͤgten
Weihnachtstag erleben wuͤrde. Dadurch wurden
die beiden Frauen veranlaßt, ernſthaftere und zu¬
friedene Betrachtungen anzuſtellen, indeſſen ich
Gelegenheit hatte, einen Blick in das Leben einer
Wittwe zu werfen, welche aus ihrem Sohne ei¬
nen Mann machen moͤchte und hierzu nichts thun
kann, als demſelben Struͤmpfe zu ſtricken. Auch
mußte ich geſtehen, daß meine Lebensverhaͤlt¬
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[338/0348] und ſuchte darauf zu blaſen, gab ſie dann mir und bat mich, einen Tanz aufzuſpielen. Als ich dies that, faßte ſie ihre Sonntagsſchuͤrze und tanzte ein Mal zierlich durch die Stube herum, wir ka¬ men aus dem Lachen nicht heraus und waren Alle hoͤchſt zufrieden. Sie ſagte, ſeit ihrer Hoch¬ zeit habe ſie nicht mehr getanzt, es ſei doch der ſchoͤnſte Tag ihres Lebens wenn ſchon der Hoch¬ zeiter ein Lumpenhund geweſen; und am Ende muͤſſe ſie dankbar bekennen, daß der liebe Gott es immer gut mit ihr gemeint und fuͤr ihr Brot geſorgt, auch ihr noch jederzeit eine froͤh¬ liche Stunde gegoͤnnt habe; ſo haͤtte ſie noch geſtern nicht gedacht, daß ſie einen ſo vergnuͤgten Weihnachtstag erleben wuͤrde. Dadurch wurden die beiden Frauen veranlaßt, ernſthaftere und zu¬ friedene Betrachtungen anzuſtellen, indeſſen ich Gelegenheit hatte, einen Blick in das Leben einer Wittwe zu werfen, welche aus ihrem Sohne ei¬ nen Mann machen moͤchte und hierzu nichts thun kann, als demſelben Struͤmpfe zu ſtricken. Auch mußte ich geſtehen, daß meine Lebensverhaͤlt¬ niſſe, welche mir oft arm und verlaſſen ſchienen,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/348>, abgerufen am 17.05.2024.