Hölle an uns vorüber. Seine Rede war kunstvoll gebaut und mit steigender Spannung auf Einen Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde erschüttern sollte, als wir, die in einem weiten Kreise um ihn herumstanden, ein lautes und feier¬ liches Ja aussprechen mußten. Ich hörte nicht auf den Sinn seiner Worte und flüsterte ein Ja mit, ohne die Frage deutlich verstanden zu haben; jedoch durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen Augenblick lang, ohne daß ich dieser Bewegung Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Mischung von unwillkürlicher Hingabe an die allgemeine Rüh¬ rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich über dem Gedanken ergriff, daß ich, so jung noch und unerfahren, doch einer so uralten Meinung und einer gewaltigen Gemeinschaft, von der ich ein unbe¬ deutendes Theilchen war, abgefallen gegenüberstand.
Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das Nachtmahl zu nehmen. Ich war schon in der Frühe guter Laune, noch ein paar Stunden und ich sollte frei sein von allem geistigen Zwange, frei wie der Vogel in der Luft! Ich fühlte mich
Hoͤlle an uns voruͤber. Seine Rede war kunſtvoll gebaut und mit ſteigender Spannung auf Einen Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde erſchuͤttern ſollte, als wir, die in einem weiten Kreiſe um ihn herumſtanden, ein lautes und feier¬ liches Ja ausſprechen mußten. Ich hoͤrte nicht auf den Sinn ſeiner Worte und fluͤſterte ein Ja mit, ohne die Frage deutlich verſtanden zu haben; jedoch durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen Augenblick lang, ohne daß ich dieſer Bewegung Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Miſchung von unwillkuͤrlicher Hingabe an die allgemeine Ruͤh¬ rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich uͤber dem Gedanken ergriff, daß ich, ſo jung noch und unerfahren, doch einer ſo uralten Meinung und einer gewaltigen Gemeinſchaft, von der ich ein unbe¬ deutendes Theilchen war, abgefallen gegenuͤberſtand.
Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das Nachtmahl zu nehmen. Ich war ſchon in der Fruͤhe guter Laune, noch ein paar Stunden und ich ſollte frei ſein von allem geiſtigen Zwange, frei wie der Vogel in der Luft! Ich fuͤhlte mich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0335"n="325"/>
Hoͤlle an uns voruͤber. Seine Rede war kunſtvoll<lb/>
gebaut und mit ſteigender Spannung auf Einen<lb/>
Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde<lb/>
erſchuͤttern ſollte, als wir, die in einem weiten<lb/>
Kreiſe um ihn herumſtanden, ein lautes und feier¬<lb/>
liches Ja ausſprechen mußten. Ich hoͤrte nicht auf<lb/>
den Sinn ſeiner Worte und fluͤſterte ein Ja mit,<lb/>
ohne die Frage deutlich verſtanden zu haben; jedoch<lb/>
durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen<lb/>
Augenblick lang, ohne daß ich dieſer Bewegung<lb/>
Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Miſchung<lb/>
von unwillkuͤrlicher Hingabe an die allgemeine Ruͤh¬<lb/>
rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich<lb/>
uͤber dem Gedanken ergriff, daß ich, ſo jung noch<lb/>
und unerfahren, doch einer ſo uralten Meinung und<lb/>
einer gewaltigen Gemeinſchaft, von der ich ein unbe¬<lb/>
deutendes Theilchen war, abgefallen gegenuͤberſtand.</p><lb/><p>Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder<lb/>
im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das<lb/>
Nachtmahl zu nehmen. Ich war ſchon in der<lb/>
Fruͤhe guter Laune, noch ein paar Stunden und<lb/>
ich ſollte frei ſein von allem geiſtigen Zwange,<lb/>
frei wie der Vogel in der Luft! Ich fuͤhlte mich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[325/0335]
Hoͤlle an uns voruͤber. Seine Rede war kunſtvoll
gebaut und mit ſteigender Spannung auf Einen
Moment hingerichtet, welcher die ganze Gemeinde
erſchuͤttern ſollte, als wir, die in einem weiten
Kreiſe um ihn herumſtanden, ein lautes und feier¬
liches Ja ausſprechen mußten. Ich hoͤrte nicht auf
den Sinn ſeiner Worte und fluͤſterte ein Ja mit,
ohne die Frage deutlich verſtanden zu haben; jedoch
durchfuhr mich ein Schauer und ich zitterte einen
Augenblick lang, ohne daß ich dieſer Bewegung
Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Miſchung
von unwillkuͤrlicher Hingabe an die allgemeine Ruͤh¬
rung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich
uͤber dem Gedanken ergriff, daß ich, ſo jung noch
und unerfahren, doch einer ſo uralten Meinung und
einer gewaltigen Gemeinſchaft, von der ich ein unbe¬
deutendes Theilchen war, abgefallen gegenuͤberſtand.
Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder
im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das
Nachtmahl zu nehmen. Ich war ſchon in der
Fruͤhe guter Laune, noch ein paar Stunden und
ich ſollte frei ſein von allem geiſtigen Zwange,
frei wie der Vogel in der Luft! Ich fuͤhlte mich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/335>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.